Gottes kleiner Finger - [Thriller]
dass Annelies Schrader irgendwie sehr ... schuldbewusst aussah. Warum? Was quälte sie? Schraders Reaktion wirkte übertrieben, trotz der Umstände.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Ihre Stimme war erstickt, es war, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Es tut mir so unsäglich leid«, wiederholte sie.
»Wir wussten sehr wohl, worauf wir uns einließen«, bemerkte Lauri.
Schrader schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte sie. »Das wussten Sie nicht. Ich hätte es Ihnen sagen müssen.«
Was hätte sie uns sagen müssen?, fragte sich Lauri verwundert.
Schrader stellte ihren Laptop auf den Tisch und schaltete ihn ein. Sie ließ die Finger über die Tasten laufen. Worum geht es hier eigentlich?, dachte Lauri. Schrader verließ ihren Platz vor dem Laptop und trat beiseite.
»Diese Bilder sind vor zwei Tagen in Marokko aufgenommen worden«, sagte sie, immer noch mit einer schuldbewussten Nuance in der Stimme.
Auf Schraders Bildschirm befand sich offensichtlich ein Satellitenfoto, auf dem acht lang gestreckte Gebäude, anscheinend Industriehallen, zu sehen waren. Sie wirkten in keiner Weise ungewöhnlich oder auffällig. Schrader rief ein neues Bild auf.
»Von innen sehen die Hallen so aus«, sagte sie.
Der Computer zeigte ein bewegtes Bild vom Inneren einer Industriehalle. Lauri sah zwei weiß gekleidete Frauen und eine Reihe großer Maschinen. In jeder Maschine gab es zwei dicke Rollen, so lang wie fünf oder sechs Menschen. Die Rollen drehten sich mit hoher Geschwindigkeit, so wie die Walzen einer großen Papiermaschine. Die eine Rolle wuchs zusehends, die andere wurde abgewickelt und immer dünner, während eine Art glänzende Kunststofffolie davon abgespult wurde. Schrader wechselte den Bildwinkel und zeigte die Aufnahmen einer Kamera, die sich an der Decke der Halle befand. Lauri sah, dass sich zwischen den Rollen große Spritzen befanden, die die Folie nacheinander mit drei Farbschichten überzogen, während sie an ihnen vorbeieilte. Lauri fluchte laut.
»Oh verdammt! Dünnschichtsolarmodule im Rolle-zu-Rolle-Verfahren?«
Schrader nickte matt.
»Aber ... diese Rollen sind riesig, wie in einer großen Papierfabrik!«
»Die Firma Nanosolar im kalifornischen San Jose hat schon 2008 eine Anlage dieses Typs entwickelt«, erläuterte Schrader. »Sie kostete nur 1,65 Millionen Dollar, kann aber, zumindest in der Theorie, Dünnschichtsolarzellen mit einer Leistung von einem Gigawatt pro Jahr produzieren. Ihre Rollen waren einen halben Meter breit und drehten sich mit einer Geschwindigkeit von dreißig Metern pro Minute. Wir benutzen zehn Meter breite Rollen, und unsere Rollen drehen sich zehnmal schneller. Wenn man die Zeit berücksichtigt, die für den Wechsel der Rollen und das Einfüllen der Tinte benötigt wird, kann jede unserer Maschinen pro Jahr Sonnenzellen von hundert Gigawatt Leistung produzieren.«
»Hundert Gigawatt?«, ächzte Lauri. »Pro Jahr?«
»Wir verfügen über achtundvierzig derartige Rollenprozessoren«, fuhr Schrader fort. »In den nächsten zwanzig Jahren wollen wir Solarzellen für hunderttausend Gigawatt produzieren und sie für fünf Cent pro Watt an die Welt verkaufen. Unsere Solarzellen halten mindestens fünfundzwanzig Jahre. Wir wollen die ganze Welt auf Sonnenstrom umstellen. In zwei Jahrzehnten. Vielleicht sogar noch etwas schneller. Wenn die Nachfrage groß genug ist, bauen wir weitere Fließbänder.«
Janet sah Schrader und deren Computer ungläubig an.
»Wir waren also nichts als ein Köder.«
Janet wunderte sich, wie hohl ihre Stimme klang.
Schrader konnte nicht antworten.
»Wir waren nur ein Blitzableiter?«, fragte Janet nachdrücklich.
Ihre Stimme war schneidend wie schwarzes Lavaglas.
»Wir waren also nur dazu da, die Saboteure in die Irre zu führen, nicht wahr?«, schrie Janet. »Und um die Anschläge auf den falschen Ort zu lenken. Das wirkliche Projekt war die ganze Zeit in Marokko, ja?«
Schrader seufzte. Tief und schwer, wie ein sterbendes Tier.
»Ohne das Sonnenwindkraftwerk hätten sie unser marokkanisches Projekt vernichtet«, erklärte sie. »Ganz leicht. Aber das Sonnenwindkraftwerk war so viel größer und interessanter, dass es in den Medien die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog.«
»Ja, genau«, keuchte Janet.
Sie dachte an Sarah Birkin und Abu Hassan Ben Bekri, Raphaela Guerrero und Reino Keskitalo. Sie dachte an Alexander Gorschkow, an Nasim Rao und Nersi Khan. Sie dachte an Ulrich Ludlow und an die verwüsteten Gesichter von Razia
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