Gottes kleiner Finger - [Thriller]
es.
»Warum ist es schwarz? Drinnen muss es heiß sein wie in einem Ofen.«
Abu Hassan grinste.
»Gehen wir hinein, dann siehst du, wie drückend es darin ist.«
Sie hoben die Klappe an, die den Zelteingang verschloss, und schoben sich hinein. Lauri wunderte sich, dass es im Zelt angenehm kühl war, viel kühler als draußen. Überrascht sah er Abu Hassan an, aber ihm war klar, dass es unhöflich wäre, jetzt nach einer Erklärung zu fragen. Er musste zuallererst ihren Gastgeber begrüßen, das Oberhaupt der Beduinen der Westlichen Wüste, Scheich Hamid al-Azhrawi.
Azhrawi war ein wohl etwas über sechzig Jahre alter, großer Mann mit grauem Haar und grauem Bart. Er trug den weißen, bei den ägyptischen Beduinen beliebten Burnus. Azhrawis Gesicht wirkte offen und ehrlich, aber es ließ deutlich erkennen, dass er nicht wusste, wie er sich seinen Gästen gegenüber verhalten sollte.
Der Boden des Zeltes war mit dicken, schön gemusterten Teppichen bedeckt. An den Seiten lagen große Sitzkissen.
Lauri bemerkte, dass in einer Ecke des Zeltes eine einzelne Frau saß. Ihr Gesicht war unverschleiert, und Lauri sah, dass sie relativ jung war, vielleicht etwas über dreißig. Ihre Hautfarbe war deutlich dunkler als die von Azhrawi, irgendwo zwischen schwarzem Ebenholz und Azhrawis viel hellerem Braun. Die Frau sah nicht zu ihnen herüber. Ihre Miene war schwer zu deuten.
Sie trug ein schwarzes, überraschend eng anliegendes und die Körperformen betonendes, bis zu den Knöcheln reichendes Kleid, dessen dicker schwarzer Gürtel ihre Taille stramm umschloss. Auf dem Kopf lag ein schwarzer Hijab, ein Tuch, unter dem eine Strähne kohlschwarzen, dichten Haares hervorschaute. Lauri sah, dass auf ihren Lippen eine dicke Schicht schwarze Lippenfarbe lag und dass auch ihre Fingernägel schwarz lackiert waren. Er ließ seinen Blick abwärts wandern und stellte fest, dass die Frau an den Füßen schwarze Sandalen trug und auch ihre Zehennägel schwarz lackiert waren.
Ihren rechten Arm zierten vier oder fünf schwarz bemalte Armreifen aus Metall, und um ihren Hals lag eine Schnur aus schwarzen Perlen.
Anscheinend liebte die Frau die Farbe Schwarz.
Lauri fand, dass die Anwesenheit der Frau mehr als ungewöhnlich war, und Abu Hassans Miene verriet, dass er ähnliche Gedanken hegte. Die Frau begrüßte die Gäste nicht.
»Salam aleikum«, sagte Lauri auf Arabisch.
»Aleikum salam, Amerikaner«, antwortete Azhrawi.
Abu Hassan protestierte sofort.
»Er ist kein Amerikaner.«
»Verzeihung, Europäer«, korrigierte sich Azhrawi auf Englisch.
Lauri bemerkte leicht überrascht, dass Azhrawi ein nahezu perfektes Oxford-Englisch sprach. Abu Hassan hatte ihm schon vorher gesagt, dass sie das ganze Gespräch ohne Dolmetscher würden führen können, aber das Niveau von Azhrawis Sprachkenntnissen war für ihn dennoch eine angenehme Überraschung.
Lauri und Abu Hassan ließen sich auf den Kissen nieder. Die Frau in der schwarzen, das Gesicht verhüllenden Kleidung, sicherlich Azhrawis Frau oder Tochter, servierte den Gästen Pfefferminztee von einem schön verzierten Silbertablett.
Lauri schlürfte das bitter-starke, mit Zucker reichlich gesüßte Getränk aus einer kleinen Porzellantasse.
»Aus welchem Teil Europas kommst du?«, fragte Azhrawi. »Aus England?«
»Aus Finnland. Es hängt ganz von der Definition Europas ab, ob man Finnland als einen Teil Europas betrachtet. Das eigentliche Europa ist eine große Halbinsel. In dessen nördlichem Teil gibt es eine weitere, kleinere Halbinsel. Mein Land liegt auf dieser kleineren Halbinsel, ebenso Norwegen und Schweden. Und ein kleiner Teil von Russland.«
»Aber ... dein Land ist doch ein Teil der Union der Kreuzfahrer?«, fragte Azhrawi beharrlich. »Der Europäischen Union?«
»So ist es leider. Aber das wird auch bald für die Türkei gelten.«
Azhrawi schüttelte den Kopf und lachte.
»Warten wir ab, was daraus wird.«
»Fair enough!«, räumte Lauri ein. »Tatsächlich aber hat mein ursprüngliches Heimatland in zahlreichen Kriegen auf derselben Seite gekämpft wie die Armeen des Islams.«
»Welche Kriege meinst du, wenn du das sagst?«, fragte Azhrawi.
In seiner Stimme lag ein leicht misstrauischer Ton.
»Du kennst bestimmt den ersten Kreuzzug, den der Papst für das Jahr 1095 verkündete«, sagte Lauri.
»Natürlich.«
»Zur selben Zeit, als die päpstlichen Länder Europas einen Kreuzzug ins Heilige Land unternahmen, waren mein Land und einige südliche Nachbarn,
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