Gottes kleiner Finger - [Thriller]
die Kirche in Protestanten und Katholiken gespalten, und die großen Glaubenskriege hatten Europa mit Leid und Flammen überzogen.
Der vierte Kreuzzug richtete sich schon gegen das griechisch-katholische Konstantinopel. In seiner Folge war das große oströmische Imperium gefährlich geschwächt, sodass der briefmarkengroße Kleinstaat des Emirs Osman – eines der Dutzende von winzigen Emiraten in Anatolien – es allmählich Stück für Stück schlucken konnte. Kurz darauf war Byzanz, das Europa achthundert Jahre lang vor den Eroberungsfeldzügen der Muslime geschützt hatte, nicht mehr vorhanden. Plötzlich befand sich ganz Südosteuropa in der Hand der Ottomanen, und während der darauffolgenden fünfhundert Jahre wurden aus Europa mehr Sklaven ins ottomanische Reich gebracht als aus Afrika nach Nord- und Südamerika.
Der erste große Krieg des Westens gegen den Terrorismus hatte die Christen vor den Muslimen schützen sollen, tatsächlich aber hatte er die Türken in die Mitte Europas gebracht. Hätten nicht die Polen und die Deutschen im Jahre 1683 den Ottomanen die vernichtendste Niederlage ihrer langen Kriegsgeschichte beigebracht, wären die Fahnen der Ottomanen noch viel tiefer in das von den Glaubenskriegen geschwächte Europa eingedrungen.
Lauri wusste, dass die Muslime sich den Kreuzfahrern gegenüber lange erstaunlich maßvoll verhalten hatten. Sie hatten die großen Blutbäder, die die Christen unter ihrer Zivilbevölkerung angerichtet hatten, nicht mit gleicher Münze vergolten.
Erst als die Europäer sich mit den Mongolen gegen die Muslime verbündet hatten, fast unmittelbar nachdem die Mongolen die Einwohner von Bagdad getötet und aus ihren Schädeln eine große Pyramide errichtet hatten, war das Maß voll. Die erstarkten ägyptischen Mamelucken vernichteten zunächst die Angriffsarmee der Mongolen und dann jede Armee, die die Europäer gegen sie entsandt hatten. Die unbesiegbaren Mongolen waren danach nicht mehr unbesiegbar und zogen die Eroberung von Europa oder Ägypten nicht einmal mehr in Erwägung. Aber auch die Köpfe der verteidigungsunfähigen christlichen Kriegsgefangenen kullerten von da an immer häufiger über den Wüstensand.
Die christlichen Könige Europas hatten gedacht, die Mongolen würden Europa vor dem Islam retten. Stattdessen retteten die islamischen Krieger in der Schlacht von Ain Jalut, an der Quelle des Goliath, Westeuropa vor der Invasion der Mongolen. Was die Geschichte doch manchmal für ironische Wendungen nimmt, dachte Lauri.
Aber der Nachhall der Al-Salibija, der Kreuzzüge, dröhnte weiterhin durch die Geschichte. Für die Juden hatte die islamische Welt neunhundert Jahre lang einen Zufluchtsort vor den von den Kreuzfahrern begonnenen und von Adolf Hitler auf die Spitze getriebenen Pogromen gebildet. Als aber die westlichen Länder an genau derselben Stelle, wo seinerzeit die Festungen der Kreuzritter gelegen hatten, einen jüdischen Staat gründeten, empfand die islamische Welt die Entstehung Israels als neuen Kreuzzug. Und die Folgen sind allen bekannt.
Azhrawi kehrte zurück und setzte sich wieder auf die Kissen.
»Ach, Europäer«, murmelte er und strich sich den Bart. »Es ist sehr interessant, sich mit dir zu unterhalten, wenn ich nur mit Sicherheit wüsste, ob deine Reden von Gott oder vom Satan sind. Aber ... möchtet ihr noch mehr Pfefferminztee, bevor wir etwas Kräftigeres essen, Couscous und Kamelfleisch?«
21
»Sie waren nur zu zweit! Wir sind mit einer viel zu großen Truppe hierhergekommen!«
Fouad Badou sah den Sprecher ruhig an. Er war ein junger Saudiaktivist namens Faikh Nizmet. Badou kannte ihn schon seit Jahren, seitdem sie in den Bergen von Tora Bora, in der Nähe der pakistanischen Grenze, zusammen gegen die Truppen der Vereinigten Staaten und Großbritannien gekämpft hatten. Fouad wusste, dass Faikh jähzornig war und leicht aufbrauste.
Sie standen auf einem schmalen Kiesweg. Links von ihnen lag ein tiefes Tal, das von einem vor langer Zeit ausgetrockneten Fluss in die Landschaft geschnitten worden war. Hinter dem Tal befanden sich hohe Bergrücken aus Sandstein und dahinter ein Meer aus gelben Sanddünen.
»Besser, als wenn wir zu wenige wären«, bemerkte Fouad vernünftig. »Außerdem ist es möglich, dass Azhrawi ihm einen Begleittrupp gibt. Dann kann es von Vorteil sein, dass wir achtzig Mann sind. Und dass die meisten davon Veteranen von Tora Bora und Spin Boldak sind.«
Faikh hörte ihm zu und beruhigte sich
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