Gottes Werk und Teufels Beitrag
»Vielleicht hat er es mehr für sich selbst gesagt und nicht uns zuliebe.«
Er erzählte ihnen von Melony – nicht alles. Er holte tief Luft und erzählte ihnen von Fuzzy Stone; er ahmte das Geräusch des Atemgeräts mit einem so wunderbar komischen und anschaulichen Spektakel nach, daß die beiden in schallendes Gelächter ausbrachen und das belanglose Ploink der ins Meer fallenden Schnecken nicht mehr zu hören war. Wally und Candy merkten nicht, daß der Schluß der Geschichte gekommen war, bis Homer unverhofft dort angelangt war. »Fuzzy Stone hat eine neue Familie gefunden«, wiederholte er ihnen. »Gute Nacht, Fuzzy«, endete er hohl.
Dann war kein Laut mehr zu hören, nicht mal eine Schnecke; die See leckte an den Molenpfosten; die daran vertäuten Boote schaukelten auf dem Wasser. Wenn eine Leine sich spannte und aus dem Wasser schnellte, hörte man das Wasser von der Leine tröpfeln; wenn die dickeren Seile gestrafft wurden, gaben sie ein Geräusch wie Zähneknirschen von sich.
»Curly Day war der erste Junge, den ich beschnitten habe«, erklärte Homer Wells – nur um vom Thema Fuzzy Stone abzulenken. »Doktor Larch war dabei, als ich es machte«, sagte er, »eine Beschneidung ist keine große Sache – wirklich, es ist einfach.« Wally spürte, daß sein eigener Penis sich zusammenzog wie eine Schnecke. Candy fühlte einen Krampf in ihrer Wade, und sie hörte auf, mit ihren Beinen über dem Wasser zu schaukeln; sie zog die Hacken an und schlang die Arme um ihre Knie. »Curly war der erste«, sagte Homer. »Es ist ein bißchen schief geworden«, beichtete er.
»Wir könnten nach Boothbay hinüberfahren und sehen, wie es ihm geht«, schlug Wally vor.
Was würden wir sehen? fragte sich Candy und sah Curly vor sich, wie er wieder den Cadillac vollpinkeln und ihnen erzählen würde, daß er der Beste sei.
»Ich glaube nicht, daß das eine gute Idee wäre«, sagte Homer.
Er fuhr mit Wally zurück nach Ocean View und schrieb einen langen Brief an Dr. Larch – seinen längsten bislang. Er versuchte Larch von dem Autokino zu erzählen, aber der Brief geriet zu einer Kritik an dem Film selbst, und darum versuchte er, ein anderes Thema zu finden.
Sollte er ihm von Herb Fowler erzählen, der immer diese Präservative mit sich herumschleppte? (Obgleich Dr. Larch die Verwendung von Präservativen generell guthieß, würde er Herb Fowler wohl kaum zu schätzen wissen.) Sollte er Larch erzählen, daß er den wahren Zweck von Autokinos herausgefunden hatte? Bestand er nicht darin, sich selbst und einen andern in einen Zustand sexueller Raserei hineinzusteigern – den keiner von beiden ausleben durfte? (Dr. Larch würde gewiß nicht sehr viel davon halten.)
Sollte er Dr. Larch erzählen, was Grace Lynch gesagt und getan hatte oder wie er von ihr träumte – oder wie er sich vorstellte, daß er sich in Candy verlieben würde oder sich schon verliebt hatte (was, wie er wußte, verboten war)? Und wie sage ich: »Ich vermisse Sie«, wenn ich nicht sagen will: »Ich möchte zurückkehren«? Und darum beendete er den Brief auf seine Weise, nämlich unklar. »Ich erinnere mich daran, wie Sie mich küßten«, schrieb er an Dr. Larch. »Ich habe nicht wirklich geschlafen.«
Ja, dachte Dr. Larch, auch ich erinnere mich daran. Er ruhte sich gerade in der Apotheke aus. Warum habe ich ihn nicht öfter geküßt – warum nicht die ganze Zeit? Anderswo auf der Welt träumte er, haben sie Autokinos!
Vor der Jahrestagung des Treuhänderausschusses von St. Cloud’s nahm er stets mehr Äther, als er sollte. Er hatte nie so recht verstanden, wozu ein Treuhänderausschuß da war, und seine Empfindlichkeit gegen diese Routineüberprüfungen wuchs. Einst hatte es die Amtsärztekammer des Staates Maine gegeben; sie hatten ihm keine Fragen gestellt; sie wollten gar nichts von ihm wissen. Jetzt schien es Wilbur Larch, als gäbe es Ausschüsse und Treuhänder für alles und jedes. Dieses Jahr gab es zwei neue Ausschußmitglieder, die das Waisenhaus noch nie gesehen hatten, und darum war die Tagung des Ausschusses in St. Cloud’s geplant – für gewöhnlich tagte der Ausschuß in Portland. Die neuen Mitglieder wollten das Haus sehen; die alten Mitglieder waren sich einig, daß sie sich wieder einmal die Atmosphäre in Erinnerung rufen sollten.
Es war ein wundervoller Augustmorgen – in der herben Luft lag schon fast ein Vorgeschmack auf den September, kein drückender Nachhall von Julihitze und dunstiger Schwüle; trotzdem
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