Gottes Werk und Teufels Beitrag
daranging, die Tür zu verbarrikadieren.
»Ich glaube, ich habe etwas verpaßt«, erklärte Homer Wells, nachdem mehr als eine Stunde verstrichen war. Candy richtete sich auf der vorderen Sitzbank auf und sah ihn, obwohl ihr Haar so wild zerzaust war, mit echter Anteilnahme an.
»Was hast du verpaßt?« fragte Wally – schläfrig, wie es Homer schien.
Debra Pettigrew rückte näher an Homer heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich glaube, du hast mich verpaßt. Du hast vergessen, daß ich auch noch da bin.«
Homer hatte sagen wollen, er habe etwas von der Geschichte verpaßt; er starrte Debra besonders verständnislos an. Debra küßte ihn, sehr herzig – sehr trocken – auf den Mund. Sie lehnte sich auf der Sitzbank zurück und lächelte ihn an.
»Du bist an der Reihe«, sagte sie.
In diesem Moment öffnete Wally die Vordertür und sprühte tödliche Gase rund um den Cadillac – einiges von dem Zeug schwebte zurück durch die offene Tür. Candy und Wally, auch Debra husteten ganz erbärmlich, aber Homer starrte nur Debra Pettigrew an – und allmählich dämmerte ihm der Sinn und Zweck des Autokinos.
Vorsichtig küßte er Debra auf ihren trockenen, kleinen Mund. Sie küßte ihn wieder. Er rückte bequemer an sie heran, und sie legte ihren Kopf an seine Schulter, eine Hand auf seine Brust. Er legte eine Hand auf ihre Brust, aber sie stieß sie weg. Er ahnte, daß er noch immer etwas verpaßte, doch er fuhr zögernd fort die Spielregeln zu erkunden. Er küßte ihren Hals; das wurde akzeptiert – sie räkelte sich gegen seinen Hals, und etwas Neues und Forsches (und Feuchtes) leckte seine Kehle (ihre Zunge!); Homer wagte sich mit seiner Zunge in die vergiftete Luft hinaus. Er brauchte ein Weilchen, um die Verwendungsmöglichkeiten seiner Zunge zu überdenken, und beschloß, sie auf den Mund zu küssen und vorsichtig die dortige Anwendung seiner Zunge vorzuschlagen, was aber streng zurückgewiesen wurde – ihre Zunge stieß seine weg; ihre Zähne verwehrten jeden weiteren Zutritt.
Er begann zu begreifen, daß er sich auf ein Spiel von Ja-Nein-Regeln eingelassen hatte; es war ihm gestattet, ihr Bäuchlein zu reiben, nicht aber, ihre Brust anzufassen. Die Hand auf ihrer Hüfte durfte dort bleiben; die Hand auf ihrem Schenkel, auf ihrem Schoß, wurde fortgestoßen. Sie schlang ihre Arme um ihn und herzte ihn; ihre Küsse waren freundlich und süß; er fühlte sich allmählich wie ein gut behandeltes Haustier – die meisten Hunde der Pettigrews hatten es wahrscheinlich nicht so gut.
»Nein!« sagte Candy – so laut, daß Homer und Debra Pettigrew zusammenzuckten; dann kicherte Debra und kuschelte sich an ihn. Wenn er den Hals verrenkte und seine Augen bis in den Hinterkopf verdrehte, gelang es Homer Wells, den Film zu sehen.
Endlich hatte der unermüdliche Liebhaber die blonde Frau an wieder einem anderen Ort ihrer Gefangenschaft aufgespürt; die Frau hatte sich wieder eingesperrt, nur daß sie sich diesmal blöderweise ihren Retter vom Leib halten wollte. Es war einigermaßen frustrierend, zu sehen, wie er gegen ihre Tür hämmerte und herumfuchtelte.
Aus einem der Autos, in dem gefährlichen Dunst um sie her, kreischte jemand: »Laß sie!« Ein anderer schrie: »Töte sie!« Mit Sicherheit wußte Homer nur, daß niemand sie fikken würde – sie schien durch etwas so Unbestimmtes wie den Nebel von Cape Kenneth gegen Sex und Tod gefeit – und daß keinem der Insassen des Cadillac heute abend ein aufregenderes Abenteuer bevorstand als das Vergnügen, das gehätschelten Haustieren zuteil wird.
Dieses Gefühl brachte Homer darauf, sich an die Liebe zu erinnern, die Dr. Larch für ihn empfunden hatte – und die auch Schwester Edna und Schwester Angela für ihn empfanden. Als der Film aus war, wurde ihm klar, daß er weinte; ihm wurde klar, daß er, obwohl er sie alle hier liebte, Dr. Larch doch noch mehr liebte als alle anderen – damals liebte er Larch wirklich noch mehr als Candy –, und ihm wurde klar, daß er Larch sogar vermißte – während er gleichzeitig nie wieder einen Fuß nach St. Cloud’s zu setzen hoffte.
Eine überwältigende Verwirrung beseelte sein Weinen, aber Debra Pettigrew täuschte sich über den Anlaß; sie dachte, der Film hätte ihn zu Tränen gerührt.
»Na, na«, sagte sie bemutternd und nahm ihn in den Arm. Candy und Wally beugten sich über die Lehne der Sitzbank. Candy tätschelte seinen Kopf.
»Ist ja gut. Du darfst weinen. Ich weine bei vielen Filmen«, sagte
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