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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Küstenstraße zwischen York Harbor und Ogunquit; es war nicht die sengende Sonne von Marseille, auch nicht die kühle, frische Sonne, die in dieser Jahreszeit über großen Teilen der Küste von Maine funkelt. Es war ein Sonnenlicht wie in St. Cloud’s, dampfig und matt, und Melony war verärgert und schwitzte, als sie eine Mitfahrgelegenheit in einem Milchlastwagen akzeptierte, der landeinwärts unterwegs war.
    Sie wußte, daß sie südlich von Portland war und daß nur ein relativ kleiner Teil der Küste von Maine südlich von Portland lag, und doch hatte sie Monate gebraucht, um die Apfelgärten in dieser begrenzten Umgebung abzusuchen. Sie war nicht entmutigt, sie hatte einfach oft Pech gehabt, doch das konnte nicht ewig so weitergehen. Es war ihr gelungen, etlichen Bürgern Portlands in die Tasche zu greifen; das hatte sie ein Weilchen über Wasser gehalten. Sie hatte Scherereien bekommen, als sie in Kittery ein paar Matrosen in die Taschen zu greifen versuchte. Es war ihr gelungen, keinen Sex mit den Männern zu haben, doch sie hatten ihr die Nase gebrochen, die schief angeheilt war, und die großen oberen Schneidezähne ausgeschlagen. Melony hatte schon vorher nicht oft gelächelt, doch seither hatte sie sich einen eher verschlossenen und verkniffenen Gesichtsausdruck zugelegt.
    Die zwei ersten Obstgärten, die sie aufgesucht hatte, lagen in Sichtweite des Ozeans, aber sie hießen nicht Ocean View, und in keinem dieser beiden Obstgärten hatte jemand von den Ocean-View-Obstgärten gehört. Dann fand sie landeinwärts einen Obstgarten, wo jemand ihr erzählte, daß er von einem Ocean View gehört habe, daß es aber bestimmt nur ein Name und kein Ortsname sei und daß der Ort nicht an der Küste liege. Sie fand Arbeit als Flaschenwäscherin in einer Molkerei in Biddeford, doch sie kündigte, kaum daß sie etwas Reisegeld beisammenhatte.
    Der Obstgarten zwischen York Harbor und Ogunquit hieß, wie sich herausstellte, York-Farm, und er wirkte so unansehnlich wie sein Name, aber Melony befahl dem Fahrer des Milchlastwagens, sie trotzdem dort abzusetzen; es war immerhin ein Apfelgarten, und wer weiß, vielleicht hatte dort jemand von Ocean View gehört.
    Der Vorarbeiter auf der York-Farm warf einen Blick auf Melony und nahm an, daß sie eine zukünftige Pflückerin sei, die vor den Wanderarbeitern unterzukommen suchte.
    »Du kommst etwa drei Wochen zu früh«, sagte er zu ihr. »Diesen Monat sind erst die Gravensteiner dran, und für die brauche ich keine Hilfe – dafür sind’s zu wenig.«
    »Haben Sie von einem Obstgarten namens Ocean View gehört?« fragte Melony den Vorarbeiter.
    »Hast du dort mal gepflückt?« fragte der Vorarbeiter.
    »Nein. Ich suche ihn nur«, sagte Melony.
    »Hört sich an wie ein Altersheim«, sagte der Vorarbeiter, doch als Melony nicht einmal lächelte, war er nicht mehr freundlich. »Hast du ’ne Ahnung, wie viele Orte es in Maine geben mag, die Ocean View heißen?« fragte er.
    Melony zuckte die Schultern. Wenn man hier auf der York-Farm in drei Wochen Leute anheuerte, so hätte sie nichts dagegen, zu bleiben; vielleicht hatten manche der anderen Pflücker von dem Ort gehört, wohin Homer Wells verschwunden war.
    »Haben Sie etwas zu tun für mich?« fragte Melony den Vorarbeiter.
    »In drei Wochen – falls du zu pflücken verstehst«, fügte er hinzu.
    »Kann wohl nichts Großes sein, Äpfel zu pflücken«, sagte Melony.
    »Denkst du, es ist leicht?« fragte der Vorarbeiter. »Komm«, sagte er und führte sie durch den schmuddeligen Apfelmarkt, wo zwei ältere Frauen damit beschäftigt waren, mit der Hand eine hölzerne Preistafel zu beschriften. Im ersten Obstgarten hinter dem Apfelmarkt fing der Vorarbeiter an, Melony über die Kunst des Äpfelpflückens zu belehren.
    »Du nimmst den Apfel an seinem Stengel«, sagte der Vorarbeiter. »Aber knapp über dem Stempel ist die Knospe für den Apfel vom nächsten Jahr«, sagte er. »Wenn du die Blütenknospe mitpflückst, pflückst du zwei Jahre auf einmal.« Er demonstrierte Melony, wie man den Apfel abdrehte. »Drehen, nicht reißen«, sagte er zu ihr.
    Melony griff in den Baum und drehte einen Apfel ab. Sie machte es richtig; sie sah den Vorarbeiter an, zuckte die Schultern und biß in den noch unreifen Apfel. Sie spuckte den Bissen aus und warf den Apfel weg.
    »Das ist ein Northern Spy«, erklärte der Vorarbeiter. »Wir pflücken sie zuletzt – sie sind erst im Oktober dran.«
    Melony war gelangweilt. Sie setzte sich in

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