Gottes Werk und Teufels Beitrag
Wälder von Maine seine Stimme nicht zu ihm zurückgeworfen hatten – als er Fuzzy Stone sein echoloses gute Nacht nachgeschrien hatte.
Dann erkannte er, woher dieses Schimmern kam. Es mußte eine kleine, blankpolierte Stelle dort auf dem Blechdach des Ciderhauses geben; er sah den verblassenden Mond vom Dach des Ciderhauses zurückgeworfen – von einem Fleck, nicht größer als eine Messerklinge. Dieser kleine Schimmer in der Nacht ließ Homer – nachdem er ihn erkannt hatte – keine Ruhe mehr.
Es half nichts, auf Wallys friedlichen Atem zu lauschen. Das Problem ist, das wußte Homer, daß ich in Candy verliebt bin. Und ausgerechnet Candy hatte den Vorschlag gemacht, daß er nicht nach St. Cloud’s zurückgehen sollte.
»Mein Vater hat dich so gern«, sagte sie zu Homer. »Er wird dir bestimmt Arbeit auf dem Boot oder am Bassin geben.«
»Meine Mutter hat dich so gern«, hatte Wally hinzugefügt. »Ich bin sicher, daß sie dich in den Obstgärten behalten wird, erst recht während der Ernte. Und sie wird immer traurig, wenn ich ans College zurückfahre. Ich möchte wetten, sie wäre begeistert, dich da zu haben, wo du bist – in meinem Zimmer!«
Draußen in den Obstgärten blitzte das Dach des Ciderhauses zu ihm herüber; der Blitz war so klein und kurz wie dieser eine flüchtige Blick auf den einen Eckzahn, den Grace Lynch entblößt hatte – nur so weit hatte sich ihr Mund geöffnet, als sie ihm das letztemal nachschaute.
Wie könnte ich nicht in Candy verliebt sein? fragte er sich. Und wenn ich bleibe? Was tu ich dann?
Das Dach des Ciderhauses blitzte; dann blieb es dunkel und still. Er hatte das Aufblitzen der Kürette gesehen, bevor sie ans Werk ging; er hatte sie auf dem Untersuchungstablett liegen sehen, stumpf von Blut und reinigungsbedürftig.
Und wenn ich nach St. Cloud’s zurückkehre? fragte er sich. Was tu ich dann?
In Schwester Angelas Büro, auf der neuen Schreibmaschine, begann Dr. Larch einen Brief an Homer Wells. »An nichts erinnere ich mich so lebhaft wie daran, dich geküßt zu haben«, fing Dr. Larch an, doch er hielt inne; er wußte, das durfte er nicht sagen. Er zog das Blatt aus der Schreibmaschine, und dann versteckte er es tief in der Kurzen Geschichte von St. Cloud’s, als sei es nur ein weiteres Stück Geschichte ohne Publikum.
David Copperfield hatte beim Zubettgehen Fieber gehabt, und Larch ging, nach dem Jungen zu sehen. Dr. Larch war erleichtert, als er fühlte, daß Klein Copperfields Fieber nachgelassen hatte; die Stirn des Jungen war kühl, und leichter Schweiß bedeckte seinen Nacken, den Larch vorsichtig mit einem Handtuch trockenrieb. Es gab nicht viel Mondlicht; darum fühlte sich Larch unbeobachtet. Er beugte sich über Copperfield und küßte ihn, so wie er damals Homer Wells geküßt hatte. Larch trat an das nächste Bett und küßte Smoky Fields, der ein wenig nach Bratwürstchen schmeckte; das Erlebnis war tröstlich für Larch. Hätte er doch nur Homer öfter geküßt, als das noch möglich war! Er ging von Bett zu Bett und küßte die Jungen, wobei ihm auffiel, daß er sie nicht alle beim Namen kannte, aber er küßte sie trotzdem. Er küßte sie alle. Als er den Saal verließ, fragte Smoky Fields in die Dunkelheit: »Was war denn das?« Aber sonst war niemand wach, oder vielleicht wollte ihm niemand antworten.
Ich wünschte, er würde mich küssen, dachte Schwester Edna, die ein sehr waches Ohr für ungewöhnliche Vorgänge hatte.
»Ich finde das nett«, sagte Mrs. Grogan zu Schwester Angela, als Schwester Angela ihr davon erzählte.
»Ich finde es senil«, sagte Schwester Angela.
Aber Homer Wells saß an Wallys Fenster und ahnte nicht, daß Dr. Larchs Küsse auf die Welt losgelassen waren, auf der Suche nach ihm.
Er wußte auch nicht – nie wäre er darauf gekommen! –, daß Candy ebenfalls wach lag und sich Sorgen machte. Falls er bleibt, falls er nicht nach St. Cloud’s zurückkehrt, dachte sie, was tu ich dann? Draußen leckte die See. Die Dunkelheit und der Mond schwanden.
Dann kam die Stunde, da Homer Wells die Umrisse des Ciderhauses erkennen konnte, aber das Dach funkelte nicht mehr zu ihm herüber, wie sehr er auch seinen Kopf bewegte. Weil kein Signal zu ihm herüberblitzte, dachte Homer womöglich, daß er zu den Toten spräche, als er flüsterte: »Gute Nacht, Fuzzy.«
Daß Fuzzy Stone, wie Melony, auf der Suche nach ihm war, wußte er nicht.
7
Vor dem Krieg Eines Tages in diesem August hing eine dunstige Sonne über der
Weitere Kostenlose Bücher