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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sagte die Frau des fetten Mannes zu dem Vorarbeiter.
    »Mach kein’ Mist«, sagte Melony.
    Der Vorarbeiter ließ Melony es sich im Ciderhaus bequem machen.
    »Du kannst hierbleiben, wenigstens bis die Pflückermannschaft kommt«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob du bleiben möchtest, wenn sie hier sind. Manchmal sind Frauen dabei, manchmal auch Kinder, aber wenn es nur Männer sind, glaube ich nicht, daß du hierbleiben willst. Es sind Neger.«
    »Es wird schon gehen, einstweilen«, sagte Melony und sah sich um.
    Es gab weniger Betten als im Ciderhaus der Worthingtons, und es war viel weniger ordentlich und sauber. Die York-Farm war ein viel kleinerer, ärmerer Obstgarten als Ocean View, und niemand kümmerte sich groß darum, wie die Wanderarbeiter untergebracht waren. Die York-Farm mußte ohne eine Olive Worthington auskommen. Der Essiggeruch war stärker im Ciderhaus der York-Farm, und hinter der Presse klebten angetrocknete Tresterklumpen an der Wand, wie Apfelschorf. Es gab keinen Herd in der Kochnische – nur eine Kochplatte, die immer wieder die alten Sicherungen durchknallen ließ. Es gab einen Sicherungskasten für die Pumpe und das Quetschwerk und schwache Deckenbirnen; das Licht im Kühlraum war aus, aber so sah man zumindest den Schimmel weniger.
    Das war Melony nur recht, die zur Geschichte vieler verwahrloster Räume sowohl in den verlassenen wie in den bewohnten Gebäuden von St. Cloud’s ihren Beitrag geleistet hatte.
    »Dieses Ocean View – das du da suchst?« fragte der Vorarbeiter. »Warum suchst du es überhaupt?«
    »Ich suche meinen Freund«, sagte Melony zu ihm.
    Sie hat einen Freund?, staunte der Vorarbeiter.
    Er ging nachsehen, was die Männer machten. Der fette Mann, dessen Frau ihn schweigend ins Krankenhaus gebracht hatte (ein Schweigen, das sie mehr als drei Monate beibehalten sollte), trug es mit Fassung, als man ihn nähte, regte sich aber entschieden auf, als der Vorarbeiter ihm sagte, daß er Melony im Ciderhaus untergebracht und ihr Arbeit gegeben habe – wenigstens bis zum Ende der Ernte.
    »Du hast ihr Arbeit gegeben!« schrie der fette Mann. »Sie ist eine Mörderin!«
    »Dann geh ihr eben aus dem Weg, verdammt noch mal«, sagte der Vorarbeiter. »Falls du ihr in die Quere kommst, muß ich dich feuern – sie hat mich fast schon soweit gebracht.«
    Der fette Mann hatte eine gebrochene Nase und brauchte insgesamt einundvierzig Stiche, siebenunddreißig im Gesicht und vier an der Zunge, in die er sich gebissen hatte.
    Der Mann namens Charley kam besser weg bei den Stichen. Er brauchte nur vier – um die Wunde in seinem Ohr zu schließen. Aber Melony hatte ihm zwei Rippen gebrochen, als sie ihn getreten hatte; er hatte eine Gehirnerschütterung erlitten, als sie auf seinem Kopf herumgetrampelt war, und die andauernden Muskelkrämpfe im Kreuz führten dazu, daß er die ganze Ernte auf keine Leiter steigen konnte.
    »Du liebe Neune«, sagte Charley zu dem Vorarbeiter. »Ich habe keine Lust, diesen Hundesohn kennenzulernen, der ihr Freund ist.«
    »Geh ihr bloß aus dem Weg«, empfahl ihm der Vorarbeiter.
    »Hat sie immer noch meinen Gürtel?« fragte Charley ihn.
    »Falls du deinen Gürtel von ihr zurückverlangst, muß ich dich feuern. Besorg dir einen neuen Gürtel«, sagte der Vorarbeiter.
    »Ich soll sie um etwas bitten? Vergiß es«, sagte Charley. »Sie hat nicht gesagt, daß ihr Freund hierherkommt, oder?« fragte er den Vorarbeiter, aber dieser meinte, da Melony ihren Freund suchte, hätte der Freund ihr wohl den Weg nicht richtig beschrieben; wahrscheinlich hatte er sie sitzenlassen. »Und Gott helfe ihm, falls er sie sitzenließ«, sagte der Vorarbeiter ein ums andere Mal.
    »Na«, sagte die Frau im Apfelmarkt, die Melony eine Landstreicherin genannt hatte. »Wenn Sie eine solche Frau hätten, würden Sie nicht auch versuchen, sie zu verlassen?«
    »Erstens«, sagte der Vorarbeiter, »würde ich mich nie mit einer solchen Frau einlassen. Und wenn doch, dann würde ich sie niemals verlassen – ich würde es nicht wagen.«
    Im Ciderhaus auf der York-Farm – irgendwo im Hinterland von York Harbor, irgendwo westlich von Ogunquit, mehrere hundert Meilen Küste zwischen sich und Homer Wells – lag Melony und lauschte auf die Mäuse. Manchmal trippelten sie, manchmal nagten sie. Die erste Maus, die keck genug war, über das Fußende ihrer Matratze zu rennen, bekam mit dem Schnallenende von Charleys Gürtel so hart eins übergedroschen, daß sie über vier Betten auf einmal

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