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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Wells. »Hast du schon eine getroffen, für die du dich interessierst?« fragte er, in der Hoffnung, das Thema zu wechseln.
    »Keine, die sich für mich interessiert«, sagte sein Sohn. »Ich meine, die Mädchen, an die ich denke, sind alle zu alt, um mich auch nur anzusehen.«
    »Das wird sich ändern«, sagte Homer und stieß Angel in die Rippen; der Junge zog die Knie an und rollte sich auf die Seite und stieß seinen Vater wieder. »Ziemlich bald«, sagte Homer, »werden die Mädchen Schlange stehen, um dich anzusehen.« Er packte Angel im Schwitzkasten, und sie fingen an zu ringen. Ringen mit Angel war eine Möglichkeit, wie Homer dem Jungen körperlich nah sein konnte – lange nachdem es Angel peinlich geworden war, in der Öffentlichkeit umarmt und geküßt zu werden. Ein fünfzehnjähriger Junge hat nicht gern seinen Vater überall an sich hängen, Ringen dagegen war völlig respektabel; das war immer noch erlaubt. Vor lauter Raufen und Lachen und Keuchen hörten sie Vernon Lynch gar nicht kommen.
    »He, Homer!« sagte Vernon scharf und gab ihnen einen Tritt, während sie sich auf der Erde unter dem großen Baum wälzten – so ähnlich, wie er versucht hätte, kämpfende Hunde zu trennen. Als sie ihn über sich stehen sahen, erstarrten sie verlegen in einer Umarmung – als wären sie bei etwas ertappt worden, was sie nicht tun sollten. »Falls du aufhören kannst rumzublödeln«, sagte Vernon, »habe ich eine Neuigkeit für dich.«
    »Für mich?« sagte Homer Wells.
    »Da ist eine fette Frau, die sagt, daß sie dich kennt. Sie ist im Markt«, sagte Vernon. Homer lächelte. Er kannte mehrere fette Frauen im Markt; er vermutete, daß Vernon die dicke Dot Taft meinte oder Florence Hyde. Sogar Drückmich-Louise hatte Gewicht zugesetzt in den letzten Jahren.
    »Ich meine, eine neue fette Frau«, sagte Vernon. Er setzte sich in Bewegung, zurück zu seinem Traktor. »Sie sagt, sie will als Pflückerin anfangen, und sie fragt nach dir. Sie kennt dich.«
    Homer kam langsam auf die Füße; er war über eine Wurzel des großen Baumes gerollt, und die Wurzel hatte ihm die Rippen gequetscht. Außerdem hatte Angel ihm Gras hinten ins Hemd gestopft. Angel sagte zu seinem Vater: »Oh, eine fette Frau, hm? Ich schätze, du hast mir nichts erzählt von der fetten Frau.« Als Homer sein Hemd aufknöpfte, um das Gras herauszuschütteln, knuffte Angel seinen Vater in den nackten Bauch und stellte in dem Moment fest, daß sein Vater gealtert war. Er war immer noch ein gutgebauter Mann und kräftig von der Arbeit in den Obstgärten, aber ein bißchen Bauch schob sich doch über den Gürtel seiner Jeans, und sein von der Rauferei zerwühltes Haar war eher graugesprenkelt als grün vom Gras. Den harten Zug um Homers Augenwinkel sah Angel auch zum erstenmal.
    »Pop?« fragte Angel ihn leise. »Wer ist die Frau?« Aber sein Vater sah ihn mit Panik in den Augen an; er war drauf und dran, sein Hemd verkehrt zuzuknöpfen, und Angel mußte ihm dabei helfen. »Es kann doch nicht die Tyrannin sein, oder?« versuchte Angel mit seinem Vater zu scherzen – ihr Umgangston war oft sehr scherzhaft; doch Homer sprach nicht, er lächelte nicht einmal. Ein halber Anhänger voll Apfelkisten mußte noch entladen werden, aber Homer fuhr zu schnell, und ab und zu polterte eine Kiste herunter. Im Handumdrehen hatten sie einen leeren Anhänger. Für den Weg zurück zum Apfelmarkt nahm Homer, statt sich hinten durch die Obstgärten zu schlängeln, die Landstraße. Das ging schneller, und trotzdem hatte Homer alle Fahrer angewiesen, sich von der Landstraße fernzuhalten, wann immer sie konnten, um Unfälle mit dem sommerlichen Strandverkehr möglichst zu vermeiden.
    Kindern bleibt die Bedeutung eines Augenblicks am besten haften, wenn sie miterleben, wie Vater oder Mutter die eigenen Spielregeln brechen.
    »Glaubst du, sie ist es?« schrie Angel seinem Vater zu. Er stand über den Schultern seines Vaters, seine Hände auf dem Sitz des Traktors, seine Füße gegen die Anhängerkupplung gestemmt. »Du mußt zugeben, es ist ein wenig aufregend«, fügte der Junge hinzu, aber Homer blickte hart vor sich hin.
    Homer parkte Traktor und Anhänger bei den Lagerschuppen neben dem Markt. »Du kannst anfangen, die nächste Fuhre aufzuladen«, sagte er zu Angel, aber so leicht wurde er Angel nicht los. Der Junge folgte ihm auf dem Fuß zum Apfelmarkt, wo Big Dot und Florence und Irene die unerbittliche und wuchtige Melony umringten.
    »Sie ist es, nicht wahr?«

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