Gottes Werk und Teufels Beitrag
flüsterte Angel seinem Vater zu.
»Hallo, Melony«, sagte Homer Wells. In der reglosen Sommerluft war es mucksmäuschenstill.
»Wie geht’s dir, Sonnenstrahl?« fragte ihn Melony.
»Sonnenstrahl!« sagte die dicke Dot Taft.
Sogar Angel mußte es laut nachsprechen. Man stelle sich vor: sein Vater, ein »Sonnenstrahl«!
Aber obgleich sie jahrelang darauf gewartet hatte, ihn wiederzusehen, hing Melonys Blick nicht an Homer Wells, sondern an Angel. Melony konnte ihre Augen nicht von dem Jungen wenden. Homer Wells, ein annehmbar gutaussehender Mann in den Vierzigern, erinnerte Melony nicht eben sehr an den Homer Wells, den sie gekannt hatte; Angel war es vielmehr, der Melony so maßlos verblüffte. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß diese wie aus dem Gesicht geschnittene Ähnlichkeit mit dem Jungen, den sie einst gekannt hatte, sie schier umhauen würde. Der arme Angel fühlte sich ein wenig schrumpfen unter dem wilden Blick, den Melony über ihn gleiten ließ, doch er war ein junger Gentleman und lächelte die Fremde gewinnend an.
»Da gibt’s keinen Zweifel, wer du bist«, sagte Melony zu dem Jungen. »Du siehst deinem Vater ähnlicher als er selber.« Big Dot und die Damen vom Apfelmarkt hingen an ihren Lippen.
»Es ist nett, daß du eine Ähnlichkeit siehst«, sagte Homer Wells, »aber mein Sohn ist adoptiert.«
Hatte Homer Wells denn nichts gelernt? Nach all den Jahren voll harter Schläge, diesen Jahren von Muskeln und Fett und Verrat und deutlichem Älterwerden – sah er denn immer noch nicht in Melonys lodernden traurigen Augen, daß sie sich nicht hinters Licht führen ließ?
»Adoptiert?« sagte Melony, ohne ihre gelbgrauen Augen auch nur einen Moment von Angel abzuwenden. Sie war enttäuscht von ihrem ältesten Freund: daß er sie nach all den Jahren noch immer zu täuschen versuchte.
In dem Moment kam Candy – die Bucky Bean endlich losgeworden war – in den Apfelmarkt geschlendert, nahm sich einen Gravensteiner aus einem Korb auf dem ersten Schautisch, tat einen herzhaften Biß, stellte fest, daß offenbar niemand arbeitete, und ging zu dem kleinen Menschenauflauf hinüber.
Da in dem Kreis nur zwischen Homer und Angel etwas Platz war, trat sie zwischen die beiden; und nachdem sie den Mund voll hatte von dem frischen Apfel, war sie ein wenig verlegen, die Fremde ansprechen zu müssen.
»Hallo!« brachte sie fertig, zu Melony zu sagen, die augenblicklich in Candys Gesicht jene wenigen Züge Angels wiederfand, die sie in ihrer Erinnerung an Homer Wells nicht hatte unterbringen können.
»Das ist Melony«, sagte Homer zu Candy, die an dem Apfel würgte – vor langer Zeit, auf dem Ciderhausdach, hatte sie alles über Melony gehört. »Das ist Missus Worthington«, murmelte Homer zu Melony.
»Wie geht’s?« brachte Candy hervor.
»Missus Worthington?« sagte Melony. Ihre Luchsaugen flitzten jetzt hin und her, von Angel zu Candy und von Angel zu Homer Wells.
Da kam Wally aus dem Büro in den Apfelmarkt gerollt.
»Arbeitet denn niemand heute?« fragte er auf seine freundliche Art. Als er sah, daß eine Fremde da war, wurde er höflich. »Oh, hallo!« sagte er.
»Hallo«, sagte Melony.
»Das ist mein Mann«, sagte Candy durch jede Menge Äpfel hindurch.
»Ihr Mann?« sagte Melony.
»Das ist Mister Worthington«, murmelte Homer Wells.
»Alle nennen mich Wally«, sagte Wally.
»Melony und ich waren im Waisenhaus zusammen«, erklärte Homer.
»Wirklich?« sagte Wally begeistert. »Das ist großartig«, sagte er. »Laß sie von jemand herumführen. Zeige ihr auch das Haus«, sagte Wally zu Homer. »Vielleicht möchten Sie gerne schwimmen?« fragte er Melony, die zum erstenmal in ihrem Leben nicht wußte, was sie sagen sollte. »Dot?« sagte Wally zur dicken Dot Taft. »Geben Sie mir durch, wieviel Bushel Gravensteiner wir im Lager haben. Ich habe eine Bestellung am Telephon.« Er wendete den Rollstuhl sehr glatt und rollte wieder los ins Büro.
»Meany weiß, wie viele da sind«, sagte Florence Hyde. »Er war eben drinnen.«
»Dann soll jemand Meany holen, damit er’s mir sagt«, sagte Wally. »Nett, Sie kennengelernt zu haben«, rief er Melony zu. »Bitte, bleiben Sie zum Abendessen.«
Candy erstickte fast an ihrem Apfel, aber es gelang ihr, den Bissen hinunterzuwürgen.
»Danke!« rief Melony Wally nach.
Er brauchte keine fremde Hilfe, um in das Büro und wieder hinauszugelangen, weil Everett Taft (vor Jahren) die Schwelle herausgenommen und die Fliegengittertür so eingerichtet
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