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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die Notaufnahme hatte Homer vergessen, Leiche Nummer zwei aufzuräumen, und Larch befahl den beiden Dummköpfen, Clara dort hineinzutragen – ohne die Einfaltspinsel auf den zerfledderten Leichnam vorzubereiten, der offen auf dem Tisch lag. Einer der Tölpel rumpelte gegen eine Wand, heulte fürchterlich los und hüpfte umher! Auf der Suche nach Homer rannte Larch brüllend durch das Waisenhaus.
    »Ich jage einer neuen Leiche für dich nach – quer durch halb Maine –, und du läßt eine solche Schweinerei einfach offen herumliegen, wo jeder Trottel darüber stolpern kann! Homer!« kreischte Dr. Larch. »Gottverdammt«, murmelte er vor sich hin, »es ist eben doch ausgeschlossen, daß ein Halbwüchsiger vor der Zeit erwachsen wird – ausgeschlossen, daß man von einem Halbwüchsigen erwarten könnte, die Verantwortung eines Erwachsenen zu übernehmen, einen gottverdammten Erwachsenenjob auszuführen!« So lief er brummend durch die ganze Knabenabteilung, auf der Suche nach Homer Wells, aber Homer war auf Larchs weißem Eisenbett in der Apotheke zusammengebrochen und in Tiefschlaf gefallen. Die Aura von Äther, die dieses karge Bett unter dem östlichen Fenster umgab, hätte zu Homers Schläfrigkeit beitragen können, aber er brauchte gewiß keinen Äther, um einzuschlafen; er war beinah vierzig Stunden mit der Eklampsiepatientin wach gewesen – und hatte sie und ihr Kind gerettet.
    Schwester Angela trat Larch in den Weg, bevor er Homer finden und aufwecken konnte.
    »Was ist hier eigentlich los?« verlangte er zu wissen. »Interessiert sich denn keiner dafür, wo zum Teufel ich gewesen bin? Und warum läßt dieser Junge seinen Leichnam wie einen Kriegsgefallenen herumliegen? Ich bin eine Nacht fort – und sehen Sie, wie das Haus aussieht.«
    Doch Schwester Angela klärte ihn auf. Sie erzählte ihm, daß es den schlimmsten Fall von Puerperalkonvulsionen gegeben hatte, den sie je gesehen habe – und sie habe einige gesehen, zu ihrer Zeit. Auch Wilbur Larch hatte einige gesehen. Zu seiner Zeit, an der Bostoner Entbindungsanstalt, hatte er viele Frauen durch Eklampsie verloren, und noch 194– war etwa ein Viertel der Todesfälle unter der Geburt auf diese Krämpfe zurückzuführen.
    »Das hat Homer getan?« fragte Larch Schwester Angela und Schwester Edna; er las den Bericht; er hatte die Mutter untersucht, der es gutging, und den frühgeborenen Jungen, der normal entwickelt und gesund war.
    »Er war fast so ruhig wie Sie, Wilbur«, sagte Schwester Edna bewundernd. »Sie können richtig stolz auf ihn sein.«
    »Er ist ein Engel, meiner Meinung nach«, sagte Schwester Angela.
    »Er sah ein wenig verbissen aus, als er die Fruchtblase sprengen mußte«, erinnerte sich Schwester Edna, »aber er machte alles ganz richtig.«
    »Er war so sicher, wie im Winter Schnee fällt«, sagte Schwester Angela.
    Er hat fast alles richtig gemacht, dachte Wilbur Larch; es war wirklich erstaunlich. Larch hielt es für einen kleinen Fehler, daß Homer die genaue Zahl der Wehen während der zweiten Zwölfstundenphase nicht festgehalten hatte (vor allem, da er sie in den ersten zwölf Stunden korrekt gezählt hatte), und er hatte auch die Zahl und Schwere der Konvulsionen während der Zehnstundenphase nicht festgehalten (oder ob es überhaupt welche gab), nachdem die Wehenkrämpfe der Patientin eingesetzt hatten und bevor sie niederkam. Kleinliche Kritik. Wilbur Larch war ein guter Lehrer; er wußte, daß er seine Kritik lieber für sich behalten sollte. Homer Wells hatte all die schwierigen Etappen richtig ausgeführt; seine Technik war vollkommen gewesen.
    »Er ist noch keine zwanzig – nicht wahr?« fragte Larch. Doch Schwester Edna war zu Bett gegangen; sie war erschöpft; in ihren Träumen sollte sie Homers Heldentum mit ihrer ohnehin schon beträchtlichen Liebe zu Larch vermischen; sie sollte sehr gut schlafen. Schwester Angela war noch auf, in ihrem Büro, und als Dr. Larch sie fragte, warum das frühgeborene Kind keinen Namen bekommen habe, erzählte sie Larch, daß Schwester Edna an der Reihe sei und die sei zu müde gewesen.
    »Nun, es ist nur eine Formsache«, sagte Wilbur Larch. »Geben Sie ihm also einen Namen – ich will, daß es einen Namen hat. Es wird Sie nicht umbringen, wenn Sie einmal aus der Reihe tanzen, oder?«
    Aber Schwester Angela hatte eine bessere Idee. Es war Homers Baby – er hatte es gerettet, und die Mutter dazu. Homer Wells sollte dem Jungen einen Namen geben, sagte Schwester Angela.
    »Ja, Sie haben

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