Gottes Werk und Teufels Beitrag
lange dauerte, Dr. Larch zu finden.
Ein Waisenjunge mit schlimmer Erkältung war beauftragt worden, Larch an der Bahnstation ausfindig zu machen; er kehrte zurück mit einem dicken Rotzbächlein in jedem Nasenloch und über die eine Backe gezogen, wie eine Strieme von einer Peitschenschnur. Sein Name (natürlich von Schwester Angela) war Curly Day, und er verkündete schniefend, daß Dr. Larch den Zug nach Three Mile Falls bestiegen habe – um der Leiche nachzureisen und sich ihrer zu bemächtigen, nachdem der Bahnhofsvorsteher (in perverser Schikane, bedingt durch religiöse Empörung) sie zum nächsten Zughalt weitergeleitet hatte. Der Bahnhofsvorsteher hatte sich einfach geweigert, die Leiche entgegenzunehmen. Larch, mittlerweile deutlich wütender als der Bahnhofsvorsteher, war mit dem nächsten Zug hinterhergefahren.
»Oh-ho«, sagte Schwester Edna.
Homer gab der Patientin ihre erste Dosis Digitalis; das würde er in Abständen wiederholen, bis er eine Auswirkung auf den Herzschlag der Frau feststellen konnte. Während er mit der Frau ihren nächsten Anfall abwartete, fragte er sie, ob sie entschlossen sei, ihr Baby zur Adoption freizugeben, oder ob sie nach St. Cloud’s nur gekommen sei, weil es das nächste Spital war – kurz, ob es sich um ein erwünschtes oder ein unerwünschtes Baby handelte.
»Sie meinen, es wird sterben?« fragte die Frau.
Er schenkte ihr Dr. Larchs schönstes »Natürlich nicht!«-Lächeln; dabei dachte er, daß das Baby wahrscheinlich sterben würde, wenn er es nicht bald entbände, und daß die Frau wahrscheinlich sterben würde, wenn er die Entbindung beschleunigte.
Die Frau erzählte, daß sie per Anhalter nach St. Cloud’s gefahren sei, weil es in ihrem Leben niemanden gebe, der sie herbringen konnte, und daß sie das Baby nicht behalten wolle – daß sie sich aber sehr, sehr wünsche, es möge am Leben bleiben.
»Richtig«, sagte Homer, als wäre diese Entscheidung seine eigene gewesen.
»Sie kommen mir ziemlich jung vor«, sagte die Frau. »Ich werde doch nicht sterben, oder?« fragte sie.
»Das ist richtig, Sie werden nicht sterben«, antwortete Homer Wells und brachte abermals Dr. Larchs Lächeln zum Einsatz; wenigstens ließ es ihn älter erscheinen.
Nach zwölf Stunden aber, als Dr. Larch nicht zurückgekehrt war und als der Körper der Frau sich – in ihrem vielleicht siebten Anfall – über dem Operationstisch wölbte, konnte sich Homer nicht mehr genau an den Gesichtsausdruck erinnern, der das beruhigende Lächeln bewirkte.
Er sah Schwester Angela an, die ihm zu helfen versuchte, die Frau festzuhalten, und er sagte: »Ich werde ihre Wehen einleiten. Ich werde die Fruchtblase sprengen.«
»Ich bin sicher, du weißt, was das Beste ist, Homer«, sagte Schwester Angela und brachte aber nur eine armselige Nachahmung von Dr. Larchs Zuversicht einflößendem Lächeln zustande.
Nach weiteren zwölf Stunden setzten die Wehen ein; Homer sollte sich nicht mehr an die genaue Zahl der Krämpfe erinnern, die die Frau während dieser Zeit durchlitt. Allmählich machte er sich mehr Sorgen um Dr. Larch als um die Frau, und um sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, mußte er die Furcht niederkämpfen, daß Dr. Larch etwas passiert sein könnte.
Weitere zehn Stunden nach Beginn der Wehen kam die Frau mit einem Knaben nieder – vier Pfund, elf Unzen, in guter Verfassung. Die Besserung der Mutter verlief rasch – wie Homer erwartet hatte. Es traten keine Krämpfe auf, ihr Blutdruck normalisierte sich wieder, die Eiweißspuren in ihrem Urin waren minimal.
Am Abend des Tages nach jenem Morgen, als er zur Bahnstation gegangen war, um die Leiche zu holen, die der Bahnhofsvorsteher weder behalten noch herausgeben wollte, kehrte Wilbur Larch – mitsamt der geretteten Leiche, die alsbald Clara heißen sollte – erschöpft und triumphierend nach St. Cloud’s zurück. Er war der Leiche nach Three Mile Falls gefolgt, aber der dortige Bahnhofsvorsteher hatte einen solchen Horror empfunden, daß die Leiche nicht vom Zug abgeladen wurde; sie war weitergereist und Larch hinter ihr her, er traf am nächsten Bahnhof ein und dann wieder am nächsten, immer einen Zug im Rückstand. Niemand wollte Clara haben, außer um sie unter die Erde zu bringen, und man war der Meinung, daß dies mitnichten zu den Pflichten eines Bahnhofsvorstehers gehöre – der bestimmt nicht bereit war, auf seinem Bahnhof eine Leiche in Empfang zu nehmen, die niemand abholen gekommen war. Clara war eine
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