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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die Hummer im Bassin betrieb, und das fettige Rülpsen eines Bordmotors an der Anlegestelle. Und dann der Geruch: nach gepichten Tauen, nach der nichtganz-fischigen Fischigkeit der Hummer, nach dem Benzin und Motoröl, das die Meereswellen vor seinem Anlegeplatz glättete (der von Seetang verfilzt, mit Uferschnecken übersät und mit gelbem, zum Trocknen aufgehängtem Öltuch bewimpelt war). Raymond Kendall lebte in seiner Arbeit; er liebte es, seine Arbeit sichtbar um sich zu haben; das Ende der Hafenmole von Heart’s Haven war sein Künstleratelier.
    Er war nicht nur ein Künstler in Sachen Hummer, er war auch ein Experte im Reparieren von Dingen – im Aufbewahren von allem, was jeder andere schleunigst weggeworfen hätte. Auf Anfrage hätte Raymond Kendall sich kaum als Hummerfischer bezeichnet; nicht, daß er sich dessen geschämt hätte, aber noch stolzer war er auf seine Fähigkeiten als Mechaniker. »Ich bin nur ein Bastler«, sagte er gerne.
    Und wenn die Leute vom Haven-Club sich über die unentwegte Sichtbarkeit seiner Bastelei beklagten, die, wie sie schmerzlich empfanden, ihre herrliche Aussicht verunzierte, so klagten sie nicht zu sehr; denn Raymond Kendall reparierte auch bei ihnen. Zum Beispiel reparierte er das Filtersystem ihres Swimmingpools – damals, als noch niemand einen Pool besaß, als sonst keiner Hand anlegen wollte und Raymond Kendall selbst noch nie ein Filtersystem gesehen hatte. »Ich schätze, jetzt wird es tun, was es tun soll«, sagte er, nachdem er zehn Minuten für die Arbeit gebraucht hatte.
    Das einzige, was Ray Kendall angeblich wegwarf, waren Essensreste, die er über Bord oder von der Spitze seines Stegs warf. »Nur um die Hummer zu ernähren, die mich ernähren«, pflegte er zu sagen, wenn jemand sich beklagte. »Nur um die Möwen zu füttern, die hungriger sind als Sie und ich.«
    Man raunte sich zu, er besitze mehr Geld als Senior Worthington; es gab so gut wie keine Beweise dafür, daß er je welches ausgegeben hätte – außer für seine Tochter. Wie die Kinder der Leute vom Haven-Club besuchte sie eine Privatschule; und Raymond Kendall bezahlte einen erheblichen Jahresbeitrag für eine Mitgliedschaft im Haven-Club – nicht für sich selbst (er ging nur auf Bestellung hin: um Sachen zu reparieren), sondern für seine Tochter, die im geheizten Becken dort schwimmen gelernt hatte und ihre Tennisstunden auf demselben Rasen genommen hatte, den auch der junge Wally Worthington mit seiner Anwesenheit beehrte. Kendalls Tochter hatte sogar ihr eigenes Auto – es wirkte etwas verfehlt auf dem Parkplatz des Haven-Club. Es war ein Wagen der Marke Hummerbassin-Parkplatz, ein Sammelsurium noch gebrauchsfähiger Teile aus anderen Autos; ein Kotflügel war unlackiert und mit Draht befestigt; es hatte ein Ford-Emblem auf der Motorhaube und ein Chrysler-Emblem am Kofferraum, und die Beifahrertür war zugeschweißt. Seine Batterie aber wurde niemals schlaff auf dem Parkplatz des Haven-Club; es war nicht so antiquiert, daß es nicht angesprungen wäre; wenn der Wagen von einem der Haven-Club-Mitglieder nicht starten wollte, ging man Raymond Kendalls Tochter suchen, die Überbrückungskabel in ihrem unverwüstlichen Wrack hatte und von ihrem Vater wußte, wie man damit umging.
    Einiges von dem sagenhaften Geld, das Raymond Kendall angeblich besaß und hortete, wurde ihm als Gehalt von Olive Worthington bezahlt; neben seiner Hummerfischerei hielt Kendall die Fahrzeuge und Maschinen der Ocean View Orchards in Schuß. Olive Worthington zahlte ihm ein volles Vorarbeitergehalt, weil er fast genausoviel von Äpfeln verstand wie von Hummer (und als Mechaniker auf der Farm unersetzlich war), aber Ray war nicht bereit, mehr als zwei Stunden täglich zu arbeiten. Er suchte sich seine zwei Stunden sogar selber aus – und kam manchmal als erster an, weil sich der Zeitpunkt für ihn nicht gut eignete, um aufs Meer zu fahren, manchmal erst gegen Ende des Arbeitstages, gerade rechtzeitig, um sich die Beschwerden der Obstgartenarbeiter anzuhören, weil mit der Spritze des Hardie oder mit der Pumpe des Bean-Sprinklers etwas nicht in Ordnung war, weil sich der Vergaser des Deere-Traktors verklemmt hatte oder die International-Erntemaschine nicht richtig wollte. Er sah sofort, was an den Klingen der Mähmaschine verbogen, im Gabelstapler verhakt, im Förderband verzogen, im Lieferwagen verlottert oder in der Ciderpresse aus der Reihe geraten war. Raymond Kendall schaffte binnen zwei Stunden, wofür ein

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