Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
eindeutig nicht für die Erde bestimmte Leiche. Das unheimlich schwappende Geräusch der Balsamierungsflüssigkeit, die lederartige Haut, die kosmischen Farben der mitunter bloßliegenden Arterien und Venen – »Was immer das sein mag, ich will’s hier nicht haben«, sagte der Bahnhofsvorsteher in Three Mile Falls.
    Und so fuhr Clara von Three Mile Falls nach Misery Gore, nach Moxie Gore, nach East Moxie – weiter und immer weiter. Larch bekam fürchterlich Krach mit dem Bahnhofsvorsteher in Harmony, Maine, wo Clara ein paar Minuten Aufenthalt genommen und den Eisenbahnbediensteten einen Schreck fürs Leben eingejagt hatte, bevor sie weitergeschickt worden war.
    »Das war meine Leiche!« schrie Larch. »Sie trug meinen Namen, sie war für den Unterricht eines Medizinstudenten bestimmt, der bei mir in meinem Spital in St. Cloud’s in Ausbildung steht. Sie gehört mir!« kreischte Larch. »Warum schicken Sie sie in die falsche Richtung? Warum schikken Sie sie dauernd fort von mir?«
    »Sie ist hierhergekommen, nicht wahr?« sagte der Bahnhofsvorsteher. »In St. Cloud’s ist sie anscheinend nicht angenommen worden.«
    »Der Bahnhofsvorsteher in St. Cloud’s ist verrückt!« brüllte Larch; er tat einen kleinen Luftsprung – einen kleinen Hopser, was auch ihn ein bißchen verrückt erscheinen ließ.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte der Bahnhofsvorsteher in Harmony. »Ich weiß nur das eine, die Leiche ist hierhergekommen, und ich habe sie weitergeschickt.«
    »Um Christi willen, sie ist doch nicht von Gespenstern verfolgt!« sagte Larch heulend.
    »Hab ich nicht behauptet«, sagte der Bahnhofsvorsteher. »Vielleicht, vielleicht auch nicht – war nicht lange genug hier, um das festzustellen.«
    »Idioten!« rief Larch und bestieg den Zug. In Cornville (wo der Zug nicht hielt) brüllte Wilbur Larch durchs Fenster ein paar Kartoffelbauern an, die dem Zug winkten. »Maine ist voll von Schwachköpfen!« keifte er im Weiterfahren.
    In Skowhegan fragte er den Bahnhofsvorsteher, wohin, in Teufels Namen, die verdammte Leiche denn fahre. »Bath, schätze ich«, sagte der Bahnhofsvorsteher von Skowhegan. »Da ist sie auch hergekommen, und wenn niemand sie haben will am andern Ende, fährt sie wieder dorthin zurück.«
    »Jemand will sie haben am anderen Ende!« kreischte Wilbur Larch. »Ich will sie haben.«
    Die Leiche war vom Spital in Bath ans Spital in St. Cloud’s geschickt worden; dort war eine Frau, die bereit gewesen war, ihren Körper freizugeben, gestorben, und der Pathologe am Bath Memorial Hospital wußte, daß Wilbur Larch einen frischen weiblichen Leichnam suchte.
    Dr. Larch holte Clara in Augusta ein; Augusta war sehr zivilisiert für die Verhältnisse von Maine, und der Bahnhofsvorsteher nahm lediglich zur Kenntnis, daß die Leiche in die falsche Richtung fuhr.
    »Gewiß fährt sie in die falsche Richtung!« zeterte Wilbur Larch.
    »Dumme Geschichte«, sagte der Bahnhofsvorsteher. »Spricht man denn kein Englisch in Ihrer Gegend?«
    »Man versteht kein Englisch!« gellte Larch. »Am liebsten möchte ich jedem dieser Städtchen einen Leichnam schikken – einen pro Tag!«
    »Das würde wohl manche Leute rasend machen«, meinte trocken der Bahnhofsvorsteher und überlegte, wie »rasend« Dr. Larch noch werden wollte.
    Auf der langen Rückfahrt nach St. Cloud’s, mit Clara, konnte Larch sich nicht beruhigen. In jedem dieser Städtchen, die ihn beleidigt hatten – in Harmony vor allem, doch auch in East Moxie und Moxie Gore und allen anderen –, sagte er dem jeweiligen Bahnhofsvorsteher seine Meinung, während der Zug im Bahnhof hielt. »Blödmannstadt«, sagte er zu dem Bahnhofsvorsteher in Harmony. »Sagen Sie mir eine Sache, die hier harmonisch wäre – nur eine Sache!«
    »Es war ziemlich harmonisch hier, bevor Sie mit Ihrer verfluchten Leiche kamen«, sagte der Bahnhofsvorsteher.
    »Blödmannstadt!« rief Larch aus dem Fenster, während der Zug weiterfuhr. »Idiotenburg!«
    Zu seiner großen Enttäuschung war, als der Zug in St. Cloud’s anlangte, der Bahnhofsvorsteher nicht da. »Mittag«, sagte irgend jemand zu Dr. Larch, dabei war es früher Abend.
    »Sie meinen wohl Abendbrot?« fragte Dr. Larch. »Vielleicht kennt der Bahnhofsvorsteher den Unterschied nicht«, sagte er gehässig; er heuerte zwei Kerle als Helfer an, die Clara den Hügel hinauf zur Knabenabteilung schleppten.
    Er wunderte sich, in welcher Unordnung Homer Wells Leiche Nummer zwei hinterlassen hatte. In der Aufregung um

Weitere Kostenlose Bücher