Gottes Zorn (German Edition)
liebe es.»
«Dann lauf schnell mit meinem Beutel zu den Müllcontainern, während ich Kaffee aufsetze. Ich lass die Tür offen. Du findest ja den Weg.»
Kurz darauf saß Fatima an Leylas Küchentisch. Immer noch dasselbe rot karierte Wachstuch, derselbe Kupferstich mit der Felsenmoschee und dieselben beiden gerahmten Fotos über dem Gewürzregal: von ihrem Ehemann Ahmed, der schon damals lange tot war. Und von einem jungen Yassir Arafat in Uniform und Palästinensertuch.
«Ich hätte es schon längst abnehmen sollen», sagte die Alte seufzend. «Aber an was soll man heutzutage noch glauben?»
Früher war Leyla eine glühende PLO -Aktivistin gewesen. Fatima musste an die Fotoalben denken, die die Alte immer aus dem dunklen Schrank im Wohnzimmer hervorgeholt hatte. Sie waren voll mit Schwarzweißfotos von den Kämpfen, die ältesten sogar von «Al-Naqba», der Katastrophe, bei der die Palästinenser ihr Land verloren. Als Kind hatte Fatima viele Male in ihnen geblättert und war jedes Mal erstaunt, wie schön Leyla in jungen Jahren gewesen war.
«Du hast doch immer an ein freies Palästina geglaubt. Davon hast du jedenfalls immer gesprochen.»
«Damals gab es ja auch noch Hoffnung. Aber jetzt gibt es sie nicht mehr. Im Westjordanland breiten sich die Juden aus, und in Gaza regieren die religiösen Fanatiker der Hamas. Was soll denn aus diesem Land noch werden?»
Fatima griff nach einem der fettigen Gebäckstücke. Die Süße breitete sich in ihrer Mundhöhle aus. Leylas Kaffee war schwarz und stark, genau wie sie es in Erinnerung hatte. Während sie dasaßen und sich unterhielten, versuchte Fatima sich daran zu erinnern, wie lange sie selbst in diesem Häuserkomplex gewohnt hatte. Als sie einzogen, hatte sie die vierte Klasse besucht. Ihre ersten Worte auf Schwedisch waren wie Kröten in ihrem Mund herumgehüpft. Ihre Klassenkameraden hatten gekichert, obwohl die meisten von ihnen es auch nicht viel besser konnten. Es musste im Sommer kurz vor Beginn der achten Klasse gewesen sein, als ihre Mutter an Krebs dahinsiechte. Kraftlos und abgemagert lag sie im Bett, es roch nach Krankheit und Tod. Am Ende war sie vollkommen grau im Gesicht, nahezu durchsichtig. Es war, als schämte sie sich dafür, nicht mehr genügend Kraft zum Weiterleben zu haben. Im Jahr darauf hatte ihr Vater beschlossen umzuziehen.
Von unten aus dem Garten waren die Rufe der Kinder beim Schneemannbauen zu hören. Fatima beugte sich zum Fenster. Das blasse Gesicht aus dem siebenten Stock im Haus gegenüber war nicht mehr zu sehen.
«Weißt du eigentlich, wer inzwischen in unserer alten Wohnung wohnt?»
Leyla schüttelte den Kopf. «In der letzten Zeit sind so viele neue Leute eingezogen. Man schafft es gar nicht, sie kennenzulernen. Alle wohnen so beengt. Zehn Personen in einer Zweizimmerwohnung. Und der Hausbesitzer kümmert sich nicht um die Renovierung, sodass die Kakerlaken kommen und der Schimmel sich in den Badezimmern ausbreitet. Kein Wunder, dass es jede Menge Ärger gibt.»
Sie stand mit steifen Beinen auf, um Kaffee nachzuschenken.
«Alle Schweden sind längst von hier weggezogen. Keiner, der hier wohnt, geht einer geregelten Arbeit nach. Es ist nicht gut, wenn alles so aufgeteilt ist.»
«Aber du bist doch Schwedin, Leyla, oder?»
Die Alte lächelte. «Ja, das kann man vielleicht sagen. Jedenfalls auf meine Art …» Sie setzte sich schwerfällig wieder hin. «Weißt du, Fatima, eine Sache macht mir Sorgen. Die Leute sind so religiös geworden. Es ist genauso wie zu Hause. Na ja, durchaus nicht alle natürlich. Aber viele schon. Junge Männer, die sich einen Bart wachsen lassen und über Gott und den Dschihad schwadronieren. Mädchen, die ihren Körper verhüllen, um der Welt bloß nicht zu zeigen, wie hübsch sie sind. Das kann doch nicht gut sein.»
«Genau wie zu Hause?»
«Du weißt schon, was ich meine.»
Fatima legte ihre Hand auf Leylas. «Du bist schon immer eine unbeirrbare Atheistin gewesen, Leyla. Genauso klang mein Vater auch manchmal.»
«Klang …?»
«Ja, er lebt zwar noch, aber …»
«Wie geht es Mahmoud denn?»
«Nicht so gut. Er wohnt in einem Heim in Ystad. Aber sein Gedächtnis hat er fast verloren.»
Langsam ballte die Alte ihre knochige Hand zur Faust. «Wie furchtbar», sagte sie und sah Fatima dabei tief in die Augen. «Am Ende des Lebens ist die Erinnerung doch das Einzige, für das es sich noch zu leben lohnt.»
***
A ls Fatima völlig außer Atem den Eingang des Polizeigebäudes am
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