Gottes Zorn (German Edition)
abzuschätzen, ob er es wagen sollte, den Hof zu betreten. Neben einem rotbraunen Backsteinhaus parkte ein buckeliger Pick-up. Auf der anderen Seite konnte er die Hunde sehen. Sie bellten und jaulten wie verrückt in ihren Zwingern. Kein Mensch war zu sehen. Joel nahm einen unangenehmen Gestank wahr.
Hatten sie schon Witterung aufgenommen?
«Die sind nur hungrig. Sie brauchen keine Angst zu haben.»
Die Stimme ließ Joel herumfahren.
Die Frau, die auf ihn zukam, grinste spöttisch. Sie trug einen Overall und Stiefel und schob eine mit einem großen Plastiksack beladene Schubkarre vor sich her. Trotz der Kälte trug sie keine Kopfbedeckung. Ihr weißes Haar hing ihr bis weit über den Rücken hinunter.
«Wenn Sie nichts anderes zu tun haben, könnten Sie mir den zweiten Sack reintragen», forderte sie ihn auf und wies mit dem Kopf in Richtung des Schuppens, aus dem sie gerade gekommen war.
Hatte sie etwa die ganze Zeit schon dort gestanden und ihn beobachtet?
Ohne ein weiteres Wort huschte sie an ihm vorbei und zog dabei einen ranzigen Geruch nach sich. Joel schaute ihr nach. Dann holte er den Sack mit Hundefutter aus dem Schuppen und schulterte ihn so schwungvoll, dass er aufgrund des Gewichts aus dem Gleichgewicht geriet. Der eklige Gestank ließ ihn schneller gehen. Als er auf die Zwinger zugestolpert kam, hatte die Frau schon begonnen, die Hunde zu füttern. Das Gebell hatte aufgehört, und stattdessen schmatzten die Tiere jetzt, während sie mit dem Schwanz wedelten.
«Wollen Sie einen kaufen?», fragte sie über die Schulter hinweg.
«Nein, bloß nicht!»
«Und was machen Sie dann hier?»
Sie warf ihm einen raschen Blick zu und öffnete die Gittertür zum nächsten Zwinger. Ein Hund, der aussah, als hätte er Stahlfedern unterm Fell, stürzte sich über die Pampe, die sie in den Trog füllte. In regelmäßigen Abständen lugte eine schlabbrig feuchte Zunge zwischen den Eckzähnen hervor.
«Sind sie nicht gefährlich?»
«Kein bisschen. Sie sind zahm wie Lämmer. Solange man sie richtig behandelt.»
Sie tätschelte dem Hund flüchtig den Nacken und schloss dann die Tür wieder hinter sich.
«Aber klar, wenn man sie zum Töten abrichtet, töten sie auch. Manche haben natürlich auch von Geburt an eine Macke. Genetische Fehler. Sie wissen schon, schlechte Erbanlagen. Und die können lebensgefährlich sein. Früher oder später muss man sie einschläfern lassen. Aber ansonsten …»
«Und was fressen sie da?»
Die Frau streifte sich die Arbeitshandschuhe ab und schob sie unter ihren Gürtel. Sie strich sich ein paar weiße Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ihr in die Stirn gefallen waren. Ihr Gesicht war faltiger, als Joel es auf den ersten Blick ausgemacht hatte. Als sie den Mund öffnete, stellte er fest, dass ihr im Unterkiefer ein Zahn fehlte. Aber sie wirkte recht muskulös. Es war, als wäre sie geradezu dazu geboren, blutrünstige Hunde zu bändigen. Als sie sprach, fiel ihm auf, dass sie einen undefinierbaren Akzent hatte.
«Fleisch. Abfall, den wir vom Schlachter kaufen. Angereichert mit Zusätzen, die gut fürs Fell sind. Sehen Sie nicht, wie schön es glänzt?» Mit einem Mal wirkte sie misstrauisch. «Warum fragen Sie eigentlich, wenn Sie keinen kaufen wollen?»
«Na ja, ich bin nur neugierig. Eigentlich wollte ich Goran Djelic sprechen. Er wohnt doch hier, oder?»
«Und was wollen Sie von ihm?»
Joel schob die Hände in die Taschen seines schäbigen Militärmantels und tat so, als suche er nach etwas, um Zeit zu gewinnen. Was wollte er eigentlich von Goran Djelic? Es fiel ihm ja schon schwer, sich selbst darüber klarzuwerden. Er hatte diverse Überlegungen angestellt. Die Fragen hatten sich angehäuft, ohne dass es ihm bislang gelungen wäre, sie zu formulieren. Vielleicht will ich ja auch nur wissen, woher ich komme, dachte er. Verstehen, wer ich bin.
Aber wollte er eine Antwort um jeden Preis? Joel ahnte, dass die Suche danach ihn in eine Finsternis führen würde, die er vielleicht gar nicht ergründen wollte.
Er betrachtete die Hunde, die angefangen hatten zu knurren und zu winseln, sobald sie ihren Trog leer gefressen hatten. Vielleicht hatte ja einer von ihnen eine Niete in der großen Lotterie gezogen, ging es ihm durch den Kopf. Einer, der mit Genen zur Welt gekommen war, die für gewisse Störungen sorgten? Gefährlich? Zu stark oder zu schwach, oder einfach nur im Leben verirrt?
In all dem Dunkel um Mårten herum suche ich nach Licht, dachte Joel. Nach einem kleinen
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