Gottes Zorn (German Edition)
Finger den Abzug endgültig betätigen würde. Ihm kam kein Gott in den Sinn, den er hätte anflehen können. Stattdessen fühlte es sich in seinem Kopf absolut leer an. Das Einzige, was er hörte, war sein Puls, der ihm gegen das Trommelfell hämmerte.
«Kapieren Sie das?», schrie Goran und rammte ihm den Lauf noch ein Stück weiter in den Mund, sodass sich Joels Kehle vor Würgereizen zusammenkrampfte.
Er versuchte stattdessen zu nicken.
Das ging besser.
Plötzlich glitt der Lauf aus seinem Mund heraus.
«Verdammt noch mal!», rief Joel aus, während seine Beine völlig entkräftet nachgaben. Er sank im Schnee auf die Knie und befingerte sein Gesicht. Seine Lippe blutete. Er schniefte und blieb dann vollkommen bewegungslos auf dem Boden hocken, bis sich der Schwindel legte. Ich bin nicht tot, dachte er. Ich lebe. Als er sich mit der Zunge im Mund herumfuhr, spürte er, dass der lose Backenzahn noch lockerer geworden und ein Stück von einem Schneidezahn abgeschlagen war.
Joel schnäuzte sich in die Hand und wischte sie am Mantel ab.
Als er wieder aufschaute, bemerkte er, wie der großgewachsene Mann lachte. Es war ein tiefes donnerndes Lachen, das wie ein Gewitter klang.
«Tatjana, du Luder, und ich hab gedacht, dass der kleine Scheißer dich geritten hat! Du hast so schuldbewusst geguckt. Verdammt, wie lustig!»
«Du kannst auch nur mit dem Schwanz denken …», murmelte die weißhaarige Frau.
Goran grinste zufrieden und steckte den Revolver in den Hosenbund. «Ja, ich denke mit meinem zentralen Organ!»
Er gluckste eine Weile lang, als fände er die Situation äußerst amüsant. Dann zündete er sich eine Zigarette an und blies Joel den Rauch ins Gesicht.
«Jetzt stehen Sie endlich auf, Sie Weichei.»
Mühsam kam Joel wieder auf die Füße.
«Wollen Sie ’nen Kurzen?» Goran schnippte mit den Fingern. «Tatjana!»
Ich muss von hier weg, dachte Joel. Und zwar verdammt schnell! Doch ehe er auch nur ansatzweise überlegen konnte, wie er es anstellen sollte, hatte Goran eine Whiskyflasche in der Hand. Er öffnete routiniert ein kleines Plastikdöschen mit den Zähnen und warf sich einige weiße Pillen in den Mund. Spülte sie mit einem Schluck Alkohol herunter und atmete dann hörbar durch seine riesigen Nasenlöcher aus.
«Trinken Sie!»
Joel nahm die Flasche entgegen. Er füllte seinen Mund und gurgelte. Der Alkohol brannte so stark, dass ihm die Augen tränten. Als alles betäubt war, konnte er auch gleich noch einen weiteren Schluck nehmen. Ich muss hier weg, dachte er. Muss nach Hause. Kalter Schweiß ließ sein Hemd am Rücken kleben. Er schlotterte vor Kälte.
Mit einem vagen Nicken begann er auf das Tor zuzuwanken. Als er die halbe Strecke zurückgelegt hatte, hielt Goran ihn zurück.
«Wollten Sie nicht etwas fragen?», rief er.
Joel machte noch ein paar Schritte, bevor er anhielt und sich umdrehte. «Was denn fragen?»
«Na das, weswegen Sie hergekommen sind …»
Joel spuckte eine Ladung Blut in den Schnee. Goran grinste höhnisch. Was waren das nur für Pillen, die er sich eingeworfen hatte? Tranquilizer oder eher Stimulanzien, die ihn noch verrückter machten? Ein Stück weit entfernt lehnte Tatjana sich gegen einen Hundezwinger und schien zu realisieren, dass die Gefahr für sie vorüber war, woraufhin sie die Vorstellung genoss.
«Dann werfen Sie den Whisky rüber, Sie verdammter Gorilla.»
Erstaunlicherweise war seine Angst plötzlich wie weggeblasen. Als die Flasche durch die Luft geflogen kam, fing Joel sie mit einer Hand auf. Er schraubte den Deckel ab und goss das Zeug in sich hinein, bis er das Gefühl hatte überzulaufen. Durch den Nebel vor seinen Augen hindurch meinte er zu sehen, dass Goran erneut lachte, als wäre er fast ein wenig beeindruckt.
Aber was zum Teufel wollte er ihn eigentlich fragen?
«Ich werde Ihnen etwas zeigen», sagte Goran. «Kommen Sie!»
Er drehte sich um, stampfte die Verandatreppe hinauf und verschwand im Haus. Joel schaute Tatjana fragend an, doch die verzog keine Miene. Er spuckte erneut aus, unsicher, ob er es wagen sollte, ihm zu folgen, oder ob er die Chance ergreifen sollte zu fliehen.
Wenn er vorhätte, mich zu töten, hätte er es schon längst getan, dachte Joel.
Ein schwacher Windstoß ließ die Haustür knarren. Er schob sie mit dem Fuß ein Stück weit auf.
Drinnen war es dunkel. Ein paar Sekunden lang konnte Joel nichts erkennen. Im Haus roch es nach rohem Fleisch.
Dann sah er, dass Goran in der Küche stand und in einem
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