Gottes Zorn (German Edition)
eigentlich nicht will. Es ist, als würde er mein Leben durchschauen, in mein Inneres hineinsehen können. Ich lass es bis zu einer gewissen Grenze zu. Denn ich will ja, dass er redet, verstehst du? Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dabei bin, ihn zu knacken. Hin und wieder bring ich ihn sogar zum Weinen. Doch dann dreht er den Spieß um, und plötzlich ist er derjenige, der mich kontrolliert.»
Mahmoud sah sich verwirrt um. «Gibt es etwas zu trinken?»
Sie schaute ihn an und seufzte. Ging dann in die Küche und kam mit einem Glas Saft zurück.
Seine Finger haben sich gelblich verfärbt, dachte Fatima, als er es ergriff. Außerdem sind seine Fingernägel zu lang und sehen langsam wie Klauen aus. Sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab, als er gierig trank und ihm etwas Saft aus dem Mundwinkel rann. Dann ließ er das Glas auf den Fußboden fallen und horchte auf, als wäre Gefahr im Verzug.
«Hast du das gehört?»
«Nein, was denn?»
Fatima beugte sich hinunter und hob das Glas aus bruchsicherem Kunststoff auf.
«Es donnert. Hast du es nicht gehört? Sie verschieben das Haus. Sie schieben es ganz weit weg, sodass wir nicht mehr zurückfinden.»
«Nein, jetzt redest du aber Unsinn, Papa. Keiner verschiebt das Haus. Das geht doch gar nicht, das weißt du doch.»
«Glaubst du nicht?»
Er sah sie mit dieser verschlagenen Miene an, die ihn wie einen Irren aussehen ließ und die sie an ihm hasste.
«Mich legen sie nicht herein, diese verdammten Banditen! Sie werden heute Nacht bestimmt wiederkommen.»
Als sie sich vorbeugte und ihm die Arme um die Schultern legte, war er steif wie nach einem Krampfanfall. Doch Fatima ließ nicht locker. Sie hielt ihn lange und fest in ihren Armen, bis sie schließlich spürte, dass er sich entspannte. Dann küsste sie ihn auf die Stirn.
«Ich muss jetzt gehen, Papa. Wir sehen uns bald wieder.»
Mit einem Mal leuchteten seine Augen wieder, während sein Haar nach ihren Zärtlichkeitsbezeugungen etwas aus der Fasson geraten war.
«Inschallah, mein Mädchen. Inschallah.»
Auf dem Weg hinaus wechselte sie ein paar Worte mit Agnes, die mit einem Lätzchen in der Hand am Essenstisch stand, wo sie gerade einen der Alten füttern wollte.
«Mahmoud war in den letzten Tagen etwas müde», sagte die Pflegerin. «Und dann hat er angefangen, Arabisch mit mir zu sprechen. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.»
***
I hr Handy klingelte, sobald sie auf die Straße hinaustrat. Es war Eva Ström, und sie klang aufgeregt. «Wo bist du?»
«Im Altersheim bei meinem Vater.»
«Bleib, wo du bist, ich hole dich in zwei Minuten ab.»
Fatima steckte ihr Handy in die Jackentasche und überlegte, was es wohl zu bedeuten hatte. Doch ihr blieb nicht viel Zeit, bis ein silbergrauer Toyota rasant um die Ecke bog und direkt neben ihr am Straßenrand hielt.
«Spring rein!», rief Ström durch die halb heruntergelassene Seitenscheibe.
Kaum hatte Fatima sich angeschnallt, trat ihre Kollegin auch schon das Gaspedal durch, sodass die Räder im Schneematsch durchdrehten.
«Dein Freund Bill Lundström hat bei Bernhardsson angerufen», erklärte sie. «Er hat ihm erklärt, dass du Unterstützung bei einem Hausbesuch bei Goran Djelic in Lövestad benötigst. Diesem unberechenbaren Idioten wollte ich schon immer mal auf den Zahn fühlen.»
Sie warf Fatima einen raschen Blick zu und grinste.
«Björn kann es ja gar nicht ab, wenn ihm jemand Befehle erteilt. Und besonders nicht die Säpo. Deshalb wollte er schon Benny mitschicken, nur um dich zu ärgern. Aber dann habe ich die Sache in die Hand genommen.»
«Zum Glück!», rief Fatima mit aufrichtiger Erleichterung aus.
Seit sie die Stelle als Kriminalkommissarin in Ystad angetreten hatte, hatte Eva Ström in der ihr eigenen offenherzigen Art eine schützende Hand über sie gehalten. Vielleicht, weil sie selbst gezwungen gewesen war, sich innerhalb des Polizeireviers ein gewisses Ansehen zu verschaffen. Als Frau mit asiatischem Äußeren, die außerdem noch offen zu ihrer Homosexualität stand, war Eva Ström keineswegs selbstverständlich als die höchst kompetente Polizistin akzeptiert worden, die sie war.
Sie fuhr schnell, jedoch ohne ein Risiko einzugehen. Außer einigen wenigen Sattelschleppern, die mit der Fähre aus Polen gekommen waren, herrschte wenig Verkehr. Kurz vor der Kirche von Fågeltofta bog sie links in Richtung Lövestad ab.
Währenddessen erzählte Fatima ihr kurz, was in den vergangenen Tagen geschehen war.
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