Gottes Zorn (German Edition)
rächen?»
Als ihm die Anschuldigung in der Frage bewusst wurde, verfinsterte sich seine Miene. Eine düstere Gewitterwolke schien über seine grauen Augen, die Adlernase und die Stirn zu ziehen. Fatima sah, wie Goran Djelic die Zähne zusammenbiss, sodass seine Kiefermuskeln erzitterten. Doch dann schien er sich plötzlich zu entspannen. Er strich sich mit der Handfläche über den kahlen Schädel.
«Seien wir doch ehrlich. Dragan war ein Schwein. Und Mårten Lindgren war ein Idiot. Aber wie sagt man doch: Blut ist dicker als Wasser. Ich habe meinen Bruder geliebt. Bedeutet das etwa, dass ich ihn töten sollte, um mich zu rächen?» Er schüttelte heftig den Kopf. «Nein, denken Sie doch, was Sie wollen. Aber Goran Djelic ist kein Mörder.»
Die letzten Worte sprach er so hitzig aus, dass ihm der Speichel aus dem Mund spritzte. Es war deutlich, dass er ihnen nichts hinzuzufügen hatte. Goran kehrte ihnen den Rücken. Aber sie blieben im Schneematsch stehen, bis die Tür des Backsteinhauses mit einem Knall geschlossen wurde. Im selben Moment fingen die Hunde wieder an zu bellen.
Auf dem Weg zurück nach Ystad fuhr Eva Ström langsamer, als benötigte sie Zeit zum Nachdenken. Das Thermometer auf dem Armaturenbrett zeigte an, dass die Temperatur wieder gen null gesunken war. Schwere, feuchte Schneeflocken begannen vom Himmel zu fallen. Die Scheibenwischer glitten lautlos hin und her.
«Und, was meinst du?», fragte Fatima.
«Goran Djelic ist offenbar vollkommen durchgeknallt. Und absolut lebensgefährlich.»
«Ja, aber kann er Mårten Lindgren ermordet haben?»
Da die Kollegin eine ganze Weile lang nicht antwortete, versank Fatima in ihren eigenen Gedanken. Sie fuhren schweigend durch Tranås, passierten die Motocross-Bahn bei Svampakorset, und erst auf Höhe der Kirche von Benestad sagte Eva Ström nachdenklich: «Da ist übrigens noch jemand, den wir in Betracht ziehen sollten.»
«Wer denn?»
«Joel Lindgren …»
Fatima schaute sie an. Sie wusste, dass sie das, was sie gleich zu hören bekäme, nicht gut finden würde.
«Er hatte schließlich auch ein hervorragendes Motiv, um Mårten zu töten.»
«Und welches meinst du?»
«Hass», antwortete Eva Ström. «Das plausibelste Motiv, das ein Mensch haben kann, um einen Mord zu begehen.»
Kapitel 23
W enn der Säufer auf der Bank vorm Systembolag nicht so geschlottert und immer wieder ein dumpfes, eulenähnliches Heulen ausgestoßen hätte, hätte man denken können, er wäre erfroren. Seine Nase war rot und geschwollen und seine Bartstoppeln grau. Seinen Schal hatte er zweimal um den Hals und ein weiteres Mal um die Kappe auf seinem Kopf geschlungen. Sein Körper war mit einer feinen Schicht Pulverschnee bedeckt. Die Kälte hatte wieder zugeschlagen.
Als er Joel erblickte, erwachte er zu neuem Leben.
«Joel, alter Junge!» Es klang, als wären seine Stimmbänder vom vielen Schnaps zerfressen. «Verdammt, ist ja ’ne Ewigkeit her», röchelte er. «Hast du vielleicht ein paar Kronen für deinen alten Kumpel übrig?» Er blinzelte ihn mit blutunterlaufenen Augen an.
«Johnny …?» Joel starrte ihn an, er konnte nicht anders. Die Verwandlung war geradezu brutal. Johnny, ehemals Star der Juniorenmannschaft und unbestrittener Partyking, sah nun aus wie ein alter Tattergreis. Es war absolut unfassbar.
«Sie öffnen in ’ner Viertelstunde.» Der Säufer fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und bewegte den Mund, als wollte er noch etwas sagen. Doch er brachte lediglich ein schmatzendes Geräusch zustande.
Joel kramte in der Innentasche nach seinem Portemonnaie. Als er es hervorzog, war es leer. Verdammt!
«Warte kurz.»
Der Geldautomat war ganz in der Nähe, er befand sich direkt neben dem Eingang zum Konsum. Joel zog vier Hunderter heraus und warf einen Blick auf die Quittung. Sein Erspartes war in beunruhigendem Tempo zusammengeschrumpft. Mit zwiespältigen Gefühlen drückte er seinem alten Klassenkameraden einen der Scheine in die Hand.
«Kauf dir lieber was zu essen, Johnny. Man sieht sich.»
Dann überquerte er rasch die Straße.
«Verdammt, wie nett», hörte er ihn hinter sich rufen. «Ich werd es dir zurückzahlen. Nächstes Mal, wenn wir uns sehen, kriegst du die Knete zurück. Versprochen.»
Als Joel die Tür zur Redaktion der
Ystads Allehanda
aufzog, hatte Roger Holgersson gerade ein spätes Frühstück auf seinem Schreibtisch ausgebreitet. Oder möglicherweise ein frühes Mittagessen. Das gegrillte Hähnchen glänzte vor
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