Gottesdienst
ihn wieder. Er war also nicht sicher.
»Du hast sie dir demnach nicht geholt, als du zurück zum Haus gekommen bist?« Er schüttelte den Kopf. »Du hast nicht mal nachgesehen?« Er schloss die Augen. Verzweiflung machte sich bei uns beiden breit: Möglicherweise lief ein Mörder mit Brians Neun-Millimeter-Pistole herum. »Du musst dich schnellstens auf der Polizeiwache melden und versuchen die Situation zu retten.«
»Noch nicht.«
»Doch!« Entsetzt streckte ich die Hände aus. »Was zur Hölle redest du da für einen Mist? Sie werden denken, dass du dich versteckst. Bei mir.« Und genau das tat er ja auch. »Hör zu, das ist jetzt lebenswichtig. Die Polizei kann deine Hände einem Schmauchspurentest unterziehen. Der Test wird beweisen, dass du die Waffe nicht abgefeuert hast, aber er muss innerhalb weniger Stunden nach dem Schuss durchgeführt werden.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich eine verdammte Anwältin bin, Brian! Weil ich mir Krimiserien anschaue!« Ich fragte ihn nach der Uhrzeit.
»Fast sechs.«
Es war schon zu spät. Ich ließ mich auf den Rand der Badewanne sinken. »Du hättest letzte Nacht zur Polizei gehen müssen.«
Seine Augen blitzten auf. »Weißt du denn nicht, warum ich das nicht getan habe? Hast du gar keine Ahnung? Ich habe dich gesucht!« Sein Brustkorb hob und senkte sich. »Evan, denk doch mal nach. Peter Wyoming wurde in meinem Haus ermordet. Die Polizei wird mich verhaften.«
»Nicht unbedingt«, sagte ich, aber ich glaubte selbst nicht daran.
»Doch, das werden sie. Die beiden Geistesriesen auf der Wache werden zwei und zwei zusammenzählen, und es wird siebzehn dabei rauskommen. Wenn ich letzte Nacht die Cops von zu Hause aus angerufen hätte, säße ich jetzt im Knast, und Luke wäre leichte Beute für Tabitha. In der Sekunde, wo ich hinter Gittern sitze, wird sie ihr Sorgerecht einklagen.« Er hob flehend seine Hände. »Ich konnte doch gar nicht zur Polizei gehen, bis ich sicher war, dass er sich in deiner Obhut befand. Du bist die einzige Person, der ich sein Leben anvertraue.«
Seine Worte rührten mich zutiefst. Ich stand auf und nahm ihn in die Arme.
»Ich werde zur Polizei gehen«, versprach er. »Aber zuerst musst du Luke in Sicherheit bringen.«
Ich nickte. Mein Haus in Santa Barbara stand dabei nicht zur Diskussion.
Dann löste ich mich aus der Umarmung. »Mom und Dad sind noch zehn Tage verreist.«
Unsere Eltern, die schon zwölf Jahre geschieden waren, verbrachten ihren jährlichen Urlaub miteinander, auf einem Kreuzfahrtschiff in Südostasien.
»Ruf sie an«, schlug er vor. »Ship to shore. Sie werden heimkommen.«
»Du brauchst einen Anwalt. Jesse kümmert sich um die Angelegenheit.«
»Du hast es Jesse erzählt?«
Ich hob die Hand. »Lass es. Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, den Beleidigten zu spielen, Brüderchen.« Ich musterte ihn streng. »Du brauchst Jesse jetzt. Wirklich.«
Er wehrte sich gegen den Gedanken, überhaupt etwas zu brauchen, weil er darauf zusteuerte, wovor Piloten die meiste Angst haben: Er war außer Kontrolle, die Flugbahn lag nicht mehr in seiner Hand.
Als ich seinen Gesichtsausdruck bemerkte, versuchte ich es mit Humor. »Vertrau mir, ich bin Anwältin.«
Er beruhigte sich. »Und eine verdammt gute.«
»Wir schaffen das schon.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter.
Er nickte. »Ich werde Detective McCracken anrufen.«
In dem Moment kam ein dumpfes Klopfen von der Tür des Hotelzimmers. Ich zuckte zusammen. Aus dem Klopfen wurde ein Hämmern. »Aufmachen, Polizei!«
Den Haftbefehl gegen Brian hatten sie schon dabei.
10. Kapitel
Brian bat die Polizisten um einen kleinen Gefallen. »Legen Sie mir die Handschellen draußen im Gang an, nicht vor den Augen meines Sohns.«
Sie lehnten ab. Laura Yeltow war es, die ihm die Handschellen gleich im Zimmer verpasste, bevor sie ihn abführte. Zu mir sagte sie nichts, aber ihr Blick verriet alles: Komplizin.
Für einen Augenblick war ich völlig überwältigt; wie angewurzelt stand ich da. Dann sah ich Luke, der auf dem Boden vor dem Bett kauerte. Mit zitternder Unterlippe drehte er die Enden seiner Decke zusammen. Rasch hob ich ihn hoch. Er war nicht schwer, er bestand nur aus dünnen Ärmchen und Beinchen. Jetzt fing er an zu weinen. Ich wiegte ihn in meinen Armen.
»Alles wird gut«, sagte ich und hatte das deutliche Gefühl, zu lügen.
Die Sonne ging auf, tiefgolden am leuchtend blauen Himmel. Als Luke sich etwas beruhigt hatte, setzte ich ihn ins Auto. Die
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