Gottesdienst
aufgesprühten Obszönitäten leuchteten tiefrot in der Morgendämmerung. Auf dem Weg zur Polizeiwache hielten wir bei einer Bäckerei. Der Betreiber starrte stumm durch sein Schaufenster auf meinen Wagen. Auf der Wache setzte ich Luke mit einem Brötchen und einer Packung Milch im Empfangsbereich ab. Doch mit der Polizei kam ich nicht weiter. McCracken war nicht im Dienst. Keiner wollte mir Informationen geben. Brian wurde gerade verhört, und es würde noch Stunden dauern, bis ich mit ihm sprechen konnte.
Auf dem Weg zurück zum Hotel kam ich an Brians Straße vorbei. Unweigerlich fuhr ich langsamer und blickte in Richtung seines Grundstücks. Auf dem Bürgersteig vor dem Haus standen zwei Personen. Sie reckten Plakate in die Höhe. Ich hielt an.
»Was ist los?«, fragte Luke.
»Weiß nicht genau. Aber mach dir keine Sorgen.«
Ich blieb mitten auf der Straße stehen. Jetzt war mir klar, dass ich nicht lange suchen musste. Die Standhaften wollten, dass ich sie fand. Sie warteten auf mich.
Mit Luke im Schlepptau wollte ich ihnen keinesfalls gegenübertreten. Zurück im Hotel rief ich Abbie Hankins an und fragte, ob ich Luke zu ihnen bringen konnte.
Abbie und Wally wohnten am Nancy Place in einem sandfarbenen Fertighaus im spanischen Stil. Im Vorgarten lag jede Menge Spielzeug verstreut. Wally öffnete uns die Tür mit einer Tasse Kaffee in der Hand und der Los Angeles Times unter dem Arm.
»Aah, die Coyotenbändigerin.«
Er hatte ein sanftes, leicht albernes Lächeln. Zusammen mit seiner goldgerahmten Brille verlieh es ihm das Aussehen eines Kuschelbären. Er küsste mich auf die Wange. Abbie kam aus der Küche, sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Sie trug einen Verband am Arm, aber sonst wirkte sie ganz munter.
Vorsichtig berührte ich ihre Bandagen. »Wie fühlt es sich an?«
»Ach, ich bin wie ein alter Stiefel, mich kriegt man einfach nicht kaputt. Musste nur genäht werden. Jetzt muss ich noch die restlichen Tollwutimpfungen über mich ergehen lassen, das ist schon ziemlich eklig. Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Ich steh in deiner Schuld, Süße.«
Ein Kleinkind kam auf uns zugerannt, ein Mädchen mit einem Lätzchen um den Hals, auf dem Hayley stand. Ihr Haar war weißblond, ihre Hände und Lippen komplett mit Puderzucker gesprenkelt. Sie klammerte sich an Abbeys kräftige Waden und starrte Luke an.
Auch Abbie musterte Luke. »Wally hat Donuts zum Frühstück besorgt. Willst du auch welche?«
Er drängte sich nur an mich. Ernüchtert sah mich Abbie an.
Wally mischte sich ein. »Abs, zeig doch Evan mal, was du gefunden hast.«
Sie strahlte wieder. »Oh, das wird dir gefallen.«
Sie hob das kleine Mädchen hoch und führte mich in die Küche. Die Tapete war grüngelb kariert – definitiv zu fröhlich für meinen momentanen Zustand. Auf dem Tisch lag ein Highschool-Jahrbuch mit einer eingeprägten Hundepfote auf dem Umschlag und dem Titel Pfotenabdrücke. »Weißt du noch, dass wir die Bassett Highschool Hounds waren?«, fragte sie. Es war das Jahrbuch aus unserem ersten Semester – Erinnerungen an Pickel, Algebra und Menstruationsschmerzen wallten in mir auf. Abbie schlug die Seite mit dem Foto eines Leichtathletikwettbewerbs auf: wir beim 800-Meter-Lauf. Wir schienen nach Luft zu schnappen, als ob uns auf dem Mount Everest der Sauerstoff ausgegangen wäre.
»Brian ist auch hier drin«, sagte sie und blätterte zu den Porträts der älteren Schüler.
»Schau mal, Luke, hier ist ein altes Bild von deinem Daddy.«
Beim Anblick von Brians Foto seufzte ich unwillkürlich auf. Er strahlte förmlich. In seinem ebenmäßigen Gesicht hatte das Leben noch keine Spuren hinterlassen. Ich konnte es kaum ertragen. »Hey, Kleine, was fehlt dir denn?«
Ich drückte die Finger gegen die Augen und schwieg. Leise schlug Abbie Luke und Hayley vor, sie sollten fernsehen gehen und die Schachtel Donuts mitnehmen. Kurz darauf spürte ich ihre Hand auf meiner Schulter.
Ich atmete langsam aus. »Letzte Nacht wurde ein Mann getötet. Die Polizei denkt, dass es Brian war.«
Sie ließ sich nichts anmerken, sondern hielt mich nur fest, während bei mir alle Dämme brachen. Wally steckte den Kopf in die Küche, aber Abbie scheuchte ihn weg. Sie ließ mich einfach heulen und hörte sich meine Geschichte an. Weder schreckte sie zurück, noch hatte sie vermeintlich gute Ratschläge auf Lager.
»Tu, was du tun musst«, sagte sie schlicht. »Luke kann den ganzen Tag hierbleiben, wenn
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