Gottesgericht
tun sollte. Sie war immer noch extrem wütend auf Orhun, und gleichzeitig war ihr Ausbruch ihr peinlich.
»Warum essen wir nicht einfach einen Happen?«, fragte er.
Essen war das Letzte, wonach ihr der Sinn stand. Und sie hatte ihren Kaffee nicht einmal angerührt.
»Es tut mir leid, dass ich Sie verärgert habe, und ich garantiere Ihnen, dass es keine weitere Überwachung gibt. Und zu gegebener Zeit werden wir einige der anderen Themen besprechen, die Sie angeschnitten haben. Aber würden Sie jetzt nicht gern erfahren, wie und was ich über KOSS herausgefunden habe?«
Seit er sie vom Flughafen angerufen hatte, freute sie sich darauf zu erfahren, was er über KOSS zu erzählen hatte. Es war eine Gelegenheit, die sie sich nicht entgehen lassen durfte. Und sein Eingeständnis, dass sie recht gehabt hatte, entschädigte ein wenig für sein Verhalten, wenn auch nicht für sein Leugnen der Tatsache, dass er aus ihrer Sicht ein israelischer Agent war oder etwas, was dem nahe kam.
Jane traf ihre Entscheidung und trank einen Schluck lauwarmen Kaffee. »Erzählen Sie«, sagte sie.
Orhun seufzte erleichtert. »Es war kurz nach Ersins Begräbnis. Ich bin einem Attaché der ägyptischen Botschaft in Ankara über den Weg gelaufen. Ich kannte Samir aus meiner Zeit im Außenministerium dort. Wir sprachen über die Situation am Sueskanal, und er erzählte zufällig, dass die Paläografin, die Mohammeds Schutzbrief im Katharinenkloster untersucht hatte, eine Handschrift aus der Bibliothek geschmuggelt hatte. Ihn amüsierte der Gedanke, dass sie möglicherweise die Mönche und die Bande ausgenutzt und etwas für sich selbst abgezweigt hatte. Aber als er mir erzählte, dass es sich bei der Handschrift um die Vision des Gorman handelte, wusste ich sofort, sie musste es im Auftrag der Bande gestohlen haben. Und dank Ihnen wusste ich auch, wer sie waren.«
»Haben Sie es ihm gesagt?«
»Nein. Ich war auf dem Sprung zum Flughafen, deshalb blieben mir nur Minuten, um möglichst viel aus Samir herauszubekommen. Die Expertin, die das Buch entwendet hat, ist eine gewisse Dr. Barbara Kelsey. Sie arbeitet bei einer Stiftung namens Scripture and Science. Ich habe inzwischen erfahren, dass sie Expertin auf dem Feld der hyperspektralen Bildverarbeitung ist, einem Weg, um …«
»Mein Gott«, unterbrach Jane, stellte ihren Kaffee ab und setzte sich kerzengerade auf. »Perselli hatte recht …«
»Wovon reden Sie?«
Sie erzählte ihm von dem Rätsel mit dem Jüngsten Gericht und der Möglichkeit, das codierte Datum könnte irgendwo in der Handschrift versteckt sein.
Orhun wandte den Blick zur Decke und fasste seine Gedanken zusammen. »Sie schicken also eine Expertin für diese Bildverarbeitung, damit sie die Hanschrift stiehlt, das heißt, sie soll daran arbeiten. Sie fahren auf einem Schiff den Sueskanal mit ihr rauf und runter, damit sie nicht aufgehalten und durchsucht wird … und sie muss niemandem ihren Zielort verraten. Und dann verschwinden sie. Aber wir müssen annehmen, dass sie irgendwohin gefahren sind, wo ihnen ein Bildbearbeitungslabor zur Verfügung stand. Ein Hafen oder so nahe zu einem wie möglich … hm …«
Jane schüttelte langsam den Kopf. Erst jetzt dämmerte es ihr. »Das glaube ich nicht, Demir. Ich glaube, sie hatten alles, was sie brauchten, an Bord.«
Orhun nickte. »Leisten konnten sie sich die entsprechende Ausrüstung ohne Frage.« Er beugte sich vor und suchte sich ein Sandwich aus.
»Und noch etwas«, sagte Jane. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube nicht, dass sie von der Bildfläche verschwunden sind, weil ihr Aufenthaltsort enthüllt wurde. Ich glaube, sie hatten immer die Absicht, zu verschwinden und das Manuskript auf See zu untersuchen.«
»Spielt eigentlich keine Rolle, wir wissen immer noch nicht, wo sie sind.« Orhun biss in sein Sandwich.
»Ja, aber wo immer sie sind, das Datum muss entschlüsselt werden, und dafür brauchen sie eine Art Gerät.« Sie beschrieb Celanis und Persellis Versuche, die Markierungen am Rand der Vision zu interpretieren. »Haben sie deshalb nach dieser Zeitbüchse gefragt, die Sie erwähnt haben? Glauben sie, die kann ihnen dabei helfen?«
»Möglich. Aber soviel ich weiß, war die Zeitbüchse für sich genommen eine Art Vorhersage-Apparat. Sie brauchte eine Art Bedienungsanleitung, wenn man so will, die der Patriarch von Konstantinopel aufbewahrte. Aber der Kaiser war im Besitz des Geräts. So konnte sie nur mit beider Zustimmung benutzt
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