Gottesgericht
dem Kaminsims lag. »Der Grund, warum ich Sema und Beril bat, hereinzukommen und Guten Tag zu sagen, war …« Er legte das Kuvert vor Jane auf den Tisch, »damit Sie sich kennenlernen, bevor sie alle zusammen über das Wochenende nach Disneyland fliegen. Vorausgesetzt natürlich, Sie wollen es.«
Jane hätte beinahe losgelacht.
»In dem Kuvert befinden sich Dreitagetickets für sämtliche Attraktionen für Sie und die Kinder sowie für Ihre Freundin Debbie und deren beiden«, fuhr er fort. »Plus Übernachtung, natürlich. Und auf einem Flug, der morgen Nachmittag losgeht und Montag zurück, sind Sitze reserviert.«
Jane schüttelte ungläubig den Kopf. Es war eindeutig eine gut gemeinte Geste, aber irgendwie auch anmaßend. Und sehr plötzlich. Außerdem war Disneyland eine Horrorvorstellung für sie. Die Kinder würden allerdings jubeln vor Freude, das war ihr klar.
»Demir, ich … ich …«, versuchte sie, eine Antwort zu formulieren.
»Sie müssen es nicht jetzt entscheiden. Und Sie müssen auf jeden Fall mit Ihrer Freundin reden. Geben Sie mir also bis heute Abend Bescheid. Aber wenn Ihnen das alles zu viel ist und zu schnell geht, werde ich auch nicht verstimmt sein.« Er sah sie an und lächelte. »Und die türkische Regierung ebenso wenig – nur für den Fall, dass Sie dachten, ich bezahle es aus eigener Tasche«, fügte er entschuldigend hinzu.
»Die Namen …«, murmelte sie für sich.
»Wie bitte?«
»Woher hatten sie die ganzen Namen … um die Tickets zu buchen?«
»Das war nicht nötig. Bringen Sie einfach Ihre Pässe mit. Sie werden in einer Privatmaschine fliegen, und sollten irgendwelche Tickets erforderlich sein, stelle ich sie aus.«
45
Auf der Rückfahrt zum Sender glaubte Jane, sich kneifen zu müssen. Was für eine bizarre Entwicklung. Unter allen schwierigen Fragen, die sie diese Woche auf sich zukommen sah, war mit Sicherheit nicht die gewesen, ob sie mit einem Flugzeug voll Kinder nach Disneyland in Frankreich fliegen sollte.
Ihr erster Impuls war, es für sich zu behalten, es nicht einmal Debbie zu sagen und Orhuns Einladung später dankend abzulehnen. Doch sie hatte die Eintrittskarten mitgenommen und sah das Kuvert aus ihrer Tasche ragen, und dadurch lag es ihr schwerer auf der Seele. War es fair, die Kinder um diese Gelegenheit zu bringen? Noch dazu hatten Karen und Joshua mehr als bereitwillig ihre Zimmer, Spielsachen und noch sehr viel mehr mit Scott und Bethann geteilt, und es wäre eine Möglichkeit, sich vor der bevorstehenden Trennung bei ihnen zu bedanken. Dennoch glaubte sie nicht, dass Debbie mitmachen würde – es war viel zu kurzfristig. Und Karl hatte wahrscheinlich Einwände, weil es mit »diesem riesigen Türken« zu tun hatte. Orhun hatte nichts davon gesagt, dass Debbies Mann mitkommen sollte, wahrscheinlich, weil die muslimische Etikette für Sema die Begleitung durch einen nicht mit ihr verwandten Mann ausschloss.
Aber wie stand es mit ihr selbst? War sie bereit dazu? Wenn die Kinder es wollten, würde sie es ihnen zuliebe tun. Und natürlich würden sie es wollen – vorausgesetzt, sie wurden gefragt. Womit sie wieder am Anfang war. Sollte sie einfach nichts sagen und so tun, als wäre es nie passiert?
Auch nachdem sie den Wagen auf dem für sie reservierten Parkplatz beim Radiosender abgestellt hatte, blieb sie darin sitzen und wälzte das Problem im Kopf. Sie überlegte, wie die Kinder den Verzicht auf die versprochene »Überraschungsparty« am Vortag so gut wie klaglos hingenommen hatten. Sie dachte daran, wie viel Spaß sie alle an der Disney-Produktion Der Zauberer von Oz gehabt hatten, und dazu gab es in dem Themenpark mit Sicherheit etwas. Und sie lächelte, als sie sich den Ausdruck reiner Freude auf den Gesichtern von Scott und Bethann vorstellte, wenn sie verkündete, wohin es gehen sollte. Ja, so langsam erwärmte sie sich für die Idee …
Zurück an ihrem Schreibtisch fand sie sich allein im Büro wieder. Sie hatte von unterwegs angerufen und das Team gebeten, die Besprechung ohne sie zu halten. Wenn die anderen zurückkamen, würde sie den Programmablauf für Freitag mit ihnen besprechen müssen, aber da es jetzt still war im Büro, bot sich die Gelegenheit für Jane, mit Perselli wieder Kontakt aufzunehmen. Wenn die Vision im Katharinenkloster von Gorman verfasst wurde und seitdem dort geblieben war, wie man sie glauben gemacht hatte, dann konnte sie nichts mit der Zeitbüchse zu tun haben. Aber Perselli zufolge hatten neue
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