Gottesgericht
Tischs. »Haben Sie Zeit für einen Kaffee?«
Pfarrer Kamarda, dessen nach unten gezogene Mundwinkel auf eine Neigung zur Übellaunigkeit schließen ließen, zögerte kurz. » Si, grazie« , sagte er dann mit einer Stimme, als würde man mit dem Daumen über die Zähne eines Kamms fahren. Er ging um den Tisch herum und zog geräuschvoll einen Stuhl heraus.
Massimo, der Besitzer der Bar, kam an den Tisch und begrüßte den Priester. Er hatte einen kahl rasierten Schädel, einen ausladenden Schnauzbart und einen mächtigen Bauch, der die untere Hälfte seines weißen Hemds wie ein sich blähendes Segel füllte. Kamarda bestellte einen doppelten Espresso.
Als Massimo wieder hineingegangen war, sagte Giuseppe: »Sind die Paparazzi alle weg?« Es war Small Talk, um den Ball ins Rollen zu bringen. Und es hatte entfernt mit dem Thema zu tun, das er mit dem Priester erörtern wollte.
Kamarda blies Luft durch die schmalen Lippen und schüttelte den Kopf. »Wer hätte gedacht, dass …«
»Es hat Collalba jedenfalls bekannt gemacht.«
»Aber auf keine gute Weise.«
»Das sehe ich auch so. Und deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.« Giuseppe beugte sich vor. »Letzte Woche hatten Lucia und ich eine Freundin aus Irland zu Besuch. Wir waren zur Messe hier. Vor ihrem Besuch wusste sie nichts über die albanische Gemeinde in Italien und hatte keine Ahnung, dass kleine, vor Ikonen glänzende Kirchen über diese Hügel verstreut sind. Und hätte ich sie nicht von Sant’Elia hier herübergebracht, hätte sie es vielleicht nie erfahren.«
Der Priester wedelte abwehrend mit der Hand. »Es steht in den Reiseführern«, krächzte er. »Jeder kann es wissen.«
»Aber das heißt nicht, dass sie sich die Mühe machen herzukommen.«
»Und das ist vielleicht ganz gut so … oder, Massimo?«
Der stämmige Wirt kam gerade an den Tisch. »Was ist gut?«, fragte er und stellte den Kaffee schwer schnaufend vor den Priester.
»Dass wir nicht von Touristen überrannt werden.«
Massimo stützte sich auf den Tisch, sein Gewicht ließ die Kaffeetassen in seine Richtung rutschen. »Ich persönlich würde gern von Touristen überrannt werden, vorzugsweise von jungen, hübschen, statt mir für den Rest meines Lebens das Gerede von alten Knackern wie euch anhören zu müssen.« Er lachte schallend, und die Tassen auf dem Tisch klirrten auf ihren Untertassen, da sein Bauch auf und ab wogte.
»Sehen Sie, Kamarda – die Zeiten haben sich geändert«, sagte Giuseppe, als der Wirt in die Bar zurückgegangen war. »Euer Dorf …«, er schwenkte die Hand im Kreis und zeigte dann in die Richtung von Sant’Elia, »… mein Dorf.« Er öffnete die Arme, um beide Dörfer einzuschließen. »Sie waren früher durch ihre Lage von der Außenwelt abgeschnitten. Als Junge kannte ich kaum jemanden aus diesem Dorf, obwohl ich es jeden Tag auf dem Hügel gegenüber gesehen habe. Aber jetzt hat jeder ein Auto, und mit den besseren Straßen sind unsere Dörfer viel leichter zugänglich, ist es nicht so?«
Pfarrer Kamarda nickte wehmütig.
»Aber diese Veränderung läuft in zwei Richtungen.« Er machte eine gegenläufige Bewegung mit seinen Händen. »Jahr für Jahr gehen mehr junge Leute fort. Es gibt hier keine Arbeit von der Art, die sie haben wollen. Und da sie wegziehen, wird die Bevölkerung älter. Wie viele Dorfbewohner in der Kirche heute waren unter fünfzig, hm? Die jüngeren sind in die Städte gezogen oder fördern Öl in Potenza. Sie finden Ehefrauen und Männer dort, und sicher, sie kommen ab und an noch zum Urlaub hierher, aber sie verlieren den Kontakt mit ihren Traditionen – mit Ihren Traditionen.« Giuseppe betonte das, da Kamarda sicherlich wusste, dass die Gemeinde der Arbëresh für Veränderungen anfälliger war.
»Worauf wollen Sie hinaus, Giuseppe? Kommen Sie zur Sache.«
»Tourismus ist alles, was wir haben, um diesen Niedergang aufzuhalten, Mitri. Aber wir machen es den Touristen absurd schwer hierherzukommen. Um auch nur ein paar der Dörfer zu besuchen, muss man stundenlang Serpentinenstraßen rauf- und runterfahren, und es ist reine Glückssache, ob man an einem Ort landet, der etwas zu bieten hat. Wenn man Pech hat, bekommt man nicht einmal eine anständige Mahlzeit. Es ist, als würden wir sie einladen zu kommen, aber dann lassen wir sie ziellos umherwandern. In Australien habe ich gesehen, wie Ortschaften abseits der Hauptstraßen Besucher anzulocken versuchen. Sie könnten zum Beispiel eine renovierte Mühle oder eine
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