Gottessoehne
Traummann, und was stellt sich heraus? Er ist ein Engel.« Still blickte sie in Sams Augen. »Warum ich?«, fragte sie kaum hörbar. »Was hat das alles zu bedeuten? Bitte erzähl mir alles. Ich denke, nun kann mich nichts mehr schocken.«
Ernst erwiderte er ihren Blick. »Also gut, ich werde versuchen, dir die ganze Geschichte zu erzählen. Einiges wird dir sicherlich unverständlich erscheinen und ich werde von Anfang an mein Bestes geben, es dir zu erklären. Du erwähntest einmal, dass du eine gläubige Christin bist, also gehe ich davon aus, dass du die Bibel kennst, zumindest in groben Zügen. Wahrscheinlich hast du von der Sintflut und Noah schon gehört?« Kate nickte. »Im Buch Genesis, Kapitel 6, wird von den Gottessöhnen berichtet, die sich mit Menschentöchtern eingelassen und vermehrt haben. Seltsamerweise nimmt niemand von der Kirche Anstoß an dieser Passage.
Stell dir bitte die Schar der Engel unterteilt in zehn Chöre vor. Chöre sind hier vergleichbar mit Hierarchien wie man sie in einem Königreich vorfindet, sprich, zuoberst steht der König, dann der Hochadel, der niedere Landadel, Staatsangestellte und so weiter. Dieses Bild trifft die Wahrheit zwar nicht ganz, veranschaulicht aber die komplexe Beziehung der Engel untereinander und zu ihrem Schöpfer am besten. Die Grigori, zu denen auch ich gehöre, bildeten den zehnten Chor und waren somit die rangniedersten. Wir wurden auch Wächter genannt, da es unsere Aufgabe war, die Menschen zu beobachten und zu beschützen. Somit standen wir den Menschen von allen Engeln am nächsten und mit der Zeit fühlten wir uns ihnen sehr verbunden. Wir erlebten ihren Alltag, ihre Ängste und Sehnsüchte. Am meisten hatten jedoch die weiblichen Menschenwesen unser Herz berührt. Sie sind so reich an Sensitivität, Aufopferungswillen und besitzen die Macht, Leben zu schenken; doch zu der damaligen Zeit unterdrückten und missachteten die Männer sie. Wir empfanden das als ungerecht. Du musst wissen, weder die Engel noch die Grigori können neues Leben hervorbringen. Diese Macht besitzt Gott alleine, und er teilt sie mit seinen irdischen Geschöpfen, obwohl ihr dieses Geschenk oft genug als sehr gering achtet. Eines Tages wuchs in uns der Wunsch, eine neue, in unseren Augen vollkommenere Existenz als die bisher Dagewesene, auf der Erde zu erschaffen und den Frauen ihren wahren Wert zu offenbaren. Semjaza, der mächtigste und herrlichste unter uns, fasste unser Verlangen an diesem verhängnisvollen Tag in klare Worte. Er ließ uns einen Eid auf unsere Unsterblichkeit schwören und wir überschritten die himmlische Grenze, hinüber in die materielle Dimension.«
Sams Augen blitzten auf und er lachte kurz. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie merkwürdig sich das für mich und meine Brüder angefühlt hat. Vorher hatten wir die Menschen beobachtet, doch sie konnten uns nicht sehen. Wir waren reines Bewusstsein ohne einen festen Körper. Jeder von uns war einmalig in seiner Art und wenn wir wollten, konnten wir Gestalt annehmen, doch nicht auf materieller Ebene. Es war, als ob unser Geist sich immer mehr verdichtete und einen ätherischen Körper formte. Das endgültige Eintauchen in die Materie sollte etwas komplett Neues für uns sein. Das Überwältigendste für mich war das Sehen durch meine neuen Augen. Bevor wir auf die Erde kamen, hatten wir die Welt und das Universum in seinen Spektralfarben wahrgenommen. Sagt dir der Begriff Spektralfarben etwas? Weißt Du vielleicht, was eine Spektralanalyse ist?«
»Ja. Vor Jahren, in der Chemiestunde auf meinem College, mussten wir Schüler eine Spektralanalyse durchführen, und ich erinnere mich noch recht gut daran. Wir haben Salz auf einem Magnesiumstäbchen verbrannt, um es durch ein dreieckiges Glas, ein, ein, wie heißt es doch gleich…, ein Spektrometer zu analysieren. Das Salz war Natrium Chlorid gewesen und das Natrium hatte eindeutig gelb geleuchtet. Unser Lehrer erklärte uns, dass das gelbe Licht, eine der wahrnehmbaren Spektralfarben, quasi die Schwingungen des Natrium Atoms wären. So ähnlich meine ich zumindest, hätte er es uns gesagt. Ist ja schon eine Weile her.«
»Doch genauso ist es! Und nun stell dir vor, du würdest deine Umwelt nur in den Spektralfarben wahrnehmen.« Kate schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
»Wir sahen alle Dinge, die aus verschiedenen Elementen und Molekülen bestehen, in ihren eigenen Spektralfarben. Die ganze Welt hatte vorher
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