Gottessoehne
»Seid willkommen Fremde. Eure Nacktheit hat unsere Frauen erschreckt. Ihr seid wohl unter die Räuber geraten, die euch um euer gesamtes Hab und Gut gebracht haben. Wir sehen, dass ihr unbewaffnet seid und Hilfe braucht. Unsere Religion und Tradition gebietet uns, jedem zu helfen, der in Not ist. Die Gastfreundschaft ist uns heilig. Wir haben euch Decken und Tücher mitgebracht, damit ihr eure Blöße bedecken könnt. Ihr seid eingeladen, heute Abend an unserem bescheidenen Mahl teilzunehmen.« Jetzt erhoben auch die anderen Menschen ihre Arme, um die mitgebrachten Tücher einladend vorzuzeigen. Doch niemand rührte sich. Samsaveel schaute Semjaza fragend an, dessen Blick wie gebannt auf das junge Mädchen mit dem rotblonden Haar gerichtet war. Da trat der junge Mann neben dem Mädchen nach vorne, durchquerte den Bach und bot Semjaza seine Decken an. »Seid gegrüßt, Fremder. Mein Name ist Noah. Ich bin mit meiner Schwester Naamah hier.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung des schönen Mädchens. »Meine Frau ist im Dorf geblieben und hilft mit, das Essen vorzubereiten. Und wie ist euer werter Name?« »Ich bin Semjaza. Zusammen mit Azazel«, er legte die Hand auf die Schulter des schwarzhaarigen Grigori, der rechts neben ihm stand, »führe ich diese jungen Männern an. Wir freuen uns sehr über die Geschenke und nehmen eure Einladung dankend an. Schreitet voran, junger Noah, wir werden euch folgen.«
Ein erleichtertes Lachen ging durch die Gruppe von Männern und Frauen. Die Anspannung fiel wie ein schwerer Stein von ihnen ab. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen stapfte Noah durch den Bachlauf. Semjaza folgte ihm auf den Fuß, das geschenkte Bündel Stoff fest in seiner rechten Hand. Azazel zögerte kurz, durchquerte dann aber mit zwei Sprüngen das Flüsschen. Samsaveel tat es ihm gleich und auch die anderen Wächter folgten. Dankend nahmen sie die dargereichten Tücher in Empfang und schlangen sich diese um ihre Hüften.
Gemeinsam zogen sie in das Dorf, das nicht weit entfernt vom Bach lag. Die Behausungen waren einfache Hütten, gebaut aus Holzstämmen, langen Schilfrohren und Lehm. Neugierig wurden die Fremden von den Bewohnern beäugt. Kinder jeglichen Alters und Größe kamen angerannt, blieben aber in respektvoller Entfernung stehen und rissen vor Staunen die Münder auf. Noch nie hatten sie so großgewachsene Männer gesehen, die dazu noch halbnackt waren. Auch viele der Frauen riskierten einen neugierigen Blick, einige lugten vorsichtig aus den Fenstern ihrer Hütten, andere, die sich draußen aufhielten und gemeinsam Gemüse putzten und Teig für Brotfladen kneteten, blickten kurz hoch, um sofort die Augen zu senken, sobald einer der Grigori ihren Blick erwiderte. So eine große Anzahl von stattlichen, jungen Männern war ihnen noch nicht begegnet. Die jungen Frauen und Mädchen steckten die Köpfe zusammen, begannen zu tuscheln und kicherten hinter vorgehaltener Hand. Die älteren, verheirateten Frauen warfen ihnen daraufhin vorwurfsvolle Blicke zu, aber einige von ihnen ließen ab und zu ihre Augen sehnsuchtsvoll über die Fremden wandern.
Die Nacht war bereits eingebrochen, als sich alle zum gemeinsamen Essen auf dem Dorfplatz einfanden. Da es keine Hütte gab, die groß genug war, sie alle zu beherbergen, setzten sie sich auf den blanken Boden oder auf einen selbst gezimmerten hölzernen Schemel. Manchmal diente auch einer der großen Steine, die kreisförmig auf dem Platz positioniert waren, als Sitzgelegenheit. Gegartes Gemüse, Wurzeln, Oliven und Fladenbrot wurden in Holzschalen serviert und jeder erhielt ein tönernes Trinkgefäß. Eine junge Frau ging mit einem Krug voll Wasser auf Semjaza zu, der mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Erde saß, und füllte seinen Becher. Semjaza nahm einen Schluck Wasser, wand sich Azazel zu, der neben ihm hockte und meinte: »Das könnte ich aber noch verbessern. Mal sehen, ob meine Kräfte noch wirksam sind.« Er lächelte die junge Frau an, die daraufhin errötete, und legte kurz seine rechte Hand auf die Öffnung des Kruges, den die Frau mit beiden Händen umklammerte. Samsaveel beobachtete ihn mit Argwohn.
Was hat er vor? Er wird uns noch alle verraten. Nachher halten uns diese einfachen Menschen für Magier oder noch schlimmer für Dämonen.
Der Reihe nach wurden die Trinkbecher gefüllt. Samsaveel kostete und es überraschte ihn nicht, dass die Flüssigkeit so gar nicht mehr nach Wasser schmeckte. Nein, sie war fruchtig-süß
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