Gottessoehne
Daniel nennen.«
Sie schluckte. »Wie geht es ihrem Daumen?«
»Och, der ist schon verheilt.« Und zum Beweis streckte er ihr beide Handflächen entgegen. Ihre Augen weiteten sich, es war kein noch so kleiner Schnitt zu erkennen.
»Das ist unglaublich. Sie müssen gutes Heilfleisch besitzen.«
»Ach was, das habe ich nur ihrer fachmännischen Behandlung zu verdanken.«
»Dann bin ich ja beruhigt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Daniel.« Sie drehte sich brüsk um und ihre Finger krampften sich fester um die kühlen Perlen des Rosenkranzes.
»Ich Ihnen auch, Schwester Therese«, antwortete er leise und ein knarzendes Geräusch von der Holzbank hinter ihr verriet, dass er aufgestanden war, um zu gehen. Erleichtert atmete sie aus. Nachdem sie zum dritten Mal das
Ave Maria
zu beten begonnen hatte, um doch nach dem 2. Vers hängenzubleiben, entschloss sie sich, es für heute sein zu lassen. Nur noch eine Kerze anzünden und dann zurück ins Schwesternheim. Vor dem Seitenaltar, an dem ein langes Gestell mit flackernden Kerzen aufgestellt war, stand eine männliche Gestalt. Sie zögerte und wollte gerade unverrichteter Dinge zum Ausgang huschen. Doch dann gab sie sich einen Ruck, warf entschlossen eine Münze in den Opferstock und griff sich eine Kerze aus dem nebenstehenden Regal. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so religiös sind, Daniel«, richtete sie bestimmt das Wort an den jungen Mann und stellte mit zitternden Fingern die brennende Kerze neben die anderen Lichter.
»Ich interessiere mich für alles Religiöse, aber ganz besonders für den Katholizismus. Eine Religion, die Jahrtausende und so viele Herausforderungen überstanden hat und doch das Übernatürliche und Mystische weiterhin ins Zentrum ihrer Lehre stellt, spricht mich an. Ich habe das bisher noch keinem Menschen erzählt, aber vor Jahren hatte ich eine spirituelle Erfahrung gemacht, und dadurch habe ich zum Christentum und insbesondere zum Katholizismus gefunden.«
»Eine spirituelle Erfahrung? Darf ich fragen, welcher Natur diese war? Sie müssen nicht antworten, wenn sie nicht möchten, ich will nicht indiskret sein.« »Nun, ich will es so ausdrücken: Ich hatte eine übernatürliche Erscheinung.«
Schwester Therese blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Endlich hatte er ihr volles Interesse. »Eine Erscheinung? Das ist aber sehr interessant. Darf ich fragen, wer oder was Ihnen erschienen ist?« Verlegen zupfte er sich am Ohr. »Ich rede nicht gerne darüber, da ich nicht möchte, dass man mich für verrückt hält. Aber Ihnen vertraue ich. Sie halten mich bestimmt nicht für einen Spinner, oder?« »Aber nein, ganz und gar nicht, ich finde das alles höchst bemerkenswert.« Sein Gesicht, mit den perfekten Zügen, war ihrem nun ganz nah. »Mir ist ein Engel erschienen.« Das war ja auch nicht gelogen.
»Oh, wirklich?« Ihr Gesicht leuchtete vor Begeisterung. »Erzählen Sie, wie ist das geschehen? Wie sah der Engel aus und hat er Ihnen etwas mitgeteilt?«
Danel machte einen Schritt zurück und senkte den Kopf. »Seien Sie mir nicht böse, aber darüber möchte ich nicht sprechen. Es ist einfach zu persönlich.« »Ja, natürlich, ich verstehe. Bitte verzeihen Sie mir, ich hätte nicht so neugierig sein dürfen.« Schamesröte kroch ihren Hals hinauf. Da warf Danel ihr ein so verschmitztes Lächeln zu, so dass sie fast erleichtert aufgelacht hätte. Er wirkte nun ganz anders als diesen Morgen im Krankenhaus, wie ein kleiner Junge, offen und voller Energie. »Reden wir doch lieber über Sie, Schwester Therese. Ist das eigentlich Ihr richtiger Name?«
»Ja«, entgegnete sie überrascht. »Den Schwestern der Barmherzigkeit ist es erlaubt, ihre Taufnamen zu behalten. Unser Orden ist im Vergleich zu den anderen auch noch ziemlich jung.« »Würde es sie stören, wenn ich Sie nur Therese nenne?« Sie schüttelte den Kopf.
Das durch die bunten Kirchenfenster hereinströmende Licht wurde allmählich schwächer, Therese bemerkte es nicht. Sie saß neben Danel in ein einer Kirchenbank und war vollkommen im Gespräch und in seinem Anblick vertieft. Zuerst hatte sie ihm die Geschichte ihres Ordens erzählt, dann waren sie gemeinsam durch die Kathedrale geschlendert und Danel konnte ihr zu jedem religiösen Bildnis die passende Geschichte wiedergegeben. Ein solch belesener Mann war ihr noch nie begegnet. Sie vertraute ihm an, dass sie als Waise im Heim aufgewachsen war und wie sehr es sie immer verletzt hatte, dass niemand sie
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