Gottessoehne
(lol).
Kate strich sich eine blonde Haarsträhne, die sie an der Nase kitzelte, zurück und kicherte leise.
Dann ist er wieder so offen und wissbegierig wie ein kleines Kind. Zum Beispiel jetzt gerade liest er sich durch meine sämtlichen Bücher und fragt ständig nach Nachschub. Zugegeben, er liest schneller als jeder normale Mensch und kann dabei sogar noch gleichzeitig fernsehen und Musik hören. Hm, Grigori haben anscheinend weibliche Multitasking-Fähigkeiten. Er ist so begeistert, wie viel die Menschen in der Zwischenzeit erforscht und erschaffen haben. Er hatte ja eine zeitlang den Kontakt zu uns Menschen verloren, aber diese Geschichte erzähle ich dir besser ein anderes Mal.
Am meisten beeindruckt ihn die Kunst. Sei es Musik, Malerei, Dichtkunst und was es alles noch so gibt, er kann davon einfach nicht genug kriegen. Du erinnerst dich doch noch an meinen letzten Freund, Alex, ja? Was hat der noch immer zu meinen Bildern gesagt? Kates Kleckserei! Der Idiot. Sam ist da ganz anders. Seitdem ich mit ihm zusammen bin, springen die Bilder in meinem Kopf wie von selbst auf die Leinwand. Und die Gemälde sind auch endlich so, wie ich sie mir vorstelle, und endlich traue ich mich auch, sie in einer Galerie auszustellen. Ich bin so mutig zu behaupten, dass Sam meine Muse ist. Hah, ich sehe förmlich vor mir, wie du die Augen verdrehst und denkst: Was für eine Schwärmerei, und wo ist der Haken bei der Sache?
Den gibt es leider auch. Ich weiß nämlich nicht, ob meine große Liebe sich nicht in fünf Tagen
in Luft auflöst. Vielleicht finden wir auch einen Weg, dass wir zusammenbleiben können. Am Anfang dachte ich, diesen Trennungsschmerz, der auf mich zukommen wird, nicht ertragen zu können. Aber dann wurde mir bewusst, dass ich mit ihm bis zum letzten Augenblick zusammenbleiben will, komme, was da wolle. Tja, und wenn er bei mir bleiben darf, wie wird es dann weitergehen? Wird er dann für immer der bleiben, der er jetzt ist? Wunderschön, voller Liebe zu mir und einfach überirdisch anders? Und ich, was wird aus mir? Werde ich an seiner Seite altern und welken und mich mit Alltagsproblemen herumschlagen müssen? Ich weiß es nicht und ich habe Angst vor dieser unbekannten Zukunft. Aber auch diese Angst werde ich überleben.
Und da gibt es ja auch noch die Anderen. Aber von denen erzähle ich dir besser nicht, ist eh keine schöne Geschichte. Vielleicht in meiner nächsten Email, in der du dann die ganze Wahrheit erfahren wirst.
Mein Brief ist länger geworden, als ich beabsichtigt hatte. Ich hoffe, dass du mich nun etwas besser verstehst, und dass wir weiterhin Freundinnen bleiben. Für immer und ewig
Kate
Kate setzte sich zurück, streckte die Arme über den Kopf und drehte leicht ihre angespannten Schultern. Sie las den Brief sorgfältig durch, hielt inne, schüttelte entschieden den Kopf und drückte die Löschen-Taste.
Kapitel 25
In St. Patrick‘s Cathedral herrschte eine angenehme Kühle. Schwester Therese‘s verkrampften Muskeln entspannten sich. Sie liebte dieses allabendliche Ritual, in die Kirche einzukehren, um mit Gott Zwiesprache zu halten, bevor sie in das Mutterhaus der »Sisters of Charity« in der Bronx zurückkehrte.
Tief sog sie die Luft ein und der typische Duft, der vielen Gotteshäusern anhaftet, von Kerzenwachs, alten Mauern und einem Hauch Weihrauch, stieg ihr beruhigend in die Nase. Sie nahm ihren Rosenkranz zwischen die Finger und begann zu beten. Die Stille tat ihr gut. Aber irgendwie konnte sie sich heute nicht richtig auf das Rosenkranzgebet konzentrieren. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem heutigen Nachmittag mit dieser seltsamen Begegnung zurück. Sie hob den Kopf und ihr halblanges braunes Haar fiel in den Nacken. Ihre dunkelbraunen Augen glitten durch den Altarraum, bis sie endlich an dem Kruzifix hängen blieben. In ihrem Nacken kribbelte es. Sie kniff die Augen zusammen und fixierte das Abbild von Jesus Christus. Das Kribbeln wurde stärker und rieselte ihr Rückgrat hinab. Ihr war, als würde ihr eine liebliche, sanfte Stimme Worte ins Ohr flüstern. Worte, deren Bedeutung sie nicht verstand. Langsam drehte sie sich in der Kirchenbank um, und obwohl sie es bereits geahnt hatte, durchfuhr sie ein süßer Schrecken, als sie direkt in die strahlend blauen Augen eines wunderschönen schwarzhaarigen Mannes blickte.
»Guten Tag, Schwester Therese.« Sein Lächeln war atemberaubend.
»Guten Abend Mr…«
»Ich sagte Ihnen bereits, Sie dürfen mich ruhig
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