Gottessoehne
adoptieren wollte.
Eine innere Stimme gebot ihr, zu den bunten Kirchenfenstern zu schauen und sie bemerkte, dass das Tageslicht bereits am Schwinden war. »Nun habe ich doch glatt die Zeit vergessen. Ich muss zugeben, die Unterhaltung mit Ihnen war so interessant, ich habe gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Nun muss ich aber wirklich gehen.«
»Ach, schon? Das ist aber schade.« Er sah sie dabei so betrübt an, dass sie Mitleid empfand und fast ein schlechtes Gewissen hatte.
»Die anderen Schwestern werden schon auf mich warten, normalerweise komme ich nie so spät heim.«
»Dann sollten Sie sie nicht länger warten lassen, sonst machen sie sich unnötig Sorgen um Sie und denken womöglich, dass Sie in Gefahr sind.«
»Bin ich das denn?«, fragte sie, verwundert über ihre eigene Kühnheit.
»Nein, von mir geht keine Gefahr aus oder wirke ich bedrohlich auf Sie?«
Sie lachte nervös. »Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Daniel, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.« Sie wand sich der großen Kirchentür zu und vermied es, seine Hand zum Abschied zu ergreifen.
Danel stellte sich ihr in den Weg und nahm sanft ihre Hand. »Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Abend, Therese.«
Wieder durchzuckte sie ein Stromschlag, der von den Fingerspitzen direkt in ihr Herz drang. Ihr Blut begann heftiger zu pulsieren. »Wann darf ich Sie wiedersehen?« »Also, ich weiß nicht, wozu das gut sein soll. Ich habe mein Leben und Sie das Ihre. Gute Nacht.« Geschickt entwand sie ihm ihre Hand und eilte hastigen Schrittes zur Tür. Sie drückte die schwere Messingklinke nach unten und zog daran. Aus dem Augenwinkel registrierte sie, wie Danels Hand nach vorne schnellte und er die massive Bronzetür mit dem Zeigefinger ins Schloss zurückdrückte. Überrascht wich sie zurück.
»Die Gespräche mit Ihnen tun meiner Seele gut«, erklang die männliche Stimme einschmeichelnd, ganz nah an ihrem Ohr. «Ich habe das Gefühl, ich kann Ihnen alles anvertrauen und durch Sie wird meine Seele wieder gesund.« Er hatte ihren wunden Punkt getroffen. Ein Mensch benötigte sie für sein Seelenheil.
»Wenn das so ist, dann werde ich mein Möglichstes tun, um Ihnen zu helfen. Morgen habe ich meinen freien Tag. Wir könnten uns im Central Park treffen, und sie dürfen mir dann erzählen, was Ihre Seele belastet.« Er schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln, nickte und ließ das schwere Kirchenportal allein durch das Wegziehen seines Zeigefingers nach innen aufschwingen. Therese schob sich an ihm vorbei und sog aufatmend die warme Abendluft ein.
Die Tür fiel krachend ins Schloss. Sie war fort. Er starrte auf die dunkel schimmernde Bronze, dann drehte er sich um, ließ seinen Blick durch den Kirchgang über die steinernen Heiligen- und Engelfiguren schweifen, schnaubte verächtlich und riss die Tür erneut auf.
Therese war endlich allein in ihrem Zimmer. Die anderen Schwestern hatten sie neugierig und leicht vorwurfsvoll gefragt, wo sie denn so lange geblieben wäre. Sie hatte erwidert, dass sie die Uhrzeit beim Gebet komplett vergessen hätte, sie jetzt furchtbar müde sei und sofort zu Bett gehen wolle. Die Blicke der Schwestern folgten ihr, als sie den Speisesaal verließ und sie war heilfroh, dass das Brennen ihrer roten Wangen schwächer wurde. Nun hatte sie noch etwas zu beichten: Sie hatte gelogen.
Die Dunkelheit hüllte sie wie eine warme Decke ein, nachdem sie sich auf das schmale Bett gelegt hatte. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Immer wieder erschien ihr das Bild von diesem schönen Mann und sie meinte, seine warme, mitfühlende Stimme zu hören. Die Bilder in ihrem Kopf wurden immer wirrer und sie glitt übergangslos in den Schlaf.
Sie schreckte auf. Irgendetwas war in ihrem Zimmer, sie fühlte es ganz deutlich. Unbeholfen tastete sie nach ihrer Nachttischlampe, fand den Schalter und ein schwaches Licht erhellte gerade ihr Bett und den Teppich davor. Es war niemand hier, oder doch?
»Bitte erschreck dich nicht, Therese.«, flüsterte eine warme, männliche Stimme. Voller Panik schnappte sie nach Luft, setzte sich im Bett auf und hielt das weiße Laken schützend vor ihren Oberkörper. Diese Stimme kannte sie doch.
»Was um Himmels Willen machen Sie in meinem Zimmer?«, fragte sie zittrig.
Danel trat näher ans Bett, der dämmerige Lichtkegel beleuchtete ihn nur schwach. Er hielt einen Finger vor seine Lippen. »Psst, Sie wecken die anderen Schwestern noch auf. Und was sollen
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