Gottesstreiter
Bilder,
die die Wände bedeckten, lebendig zu werden. Mäandernde Spiralen drehten sich auf sinnverwirrende Weise, Pferde und Hirsche
schienen nach oben zu steigen, und Schlangen verflochten sich zu Knäueln und entwirrten sich darauf wieder. Gehörnte Menschen
schienen zu tanzen.
»Kelten«, sagte Samson. Er hatte wohl Recht.
»Lass uns hier nicht stehen bleiben!«
Menschenschädel kollerten ihnen klappernd vor die Füße, zertretene Schienbeine knirschten.
Vor ihnen öffnete sich das nächste Gewölbe, so hoch, dass sich die Deckenwölbung im Dunkel verlor. Die Lichter der Laterne
und des Periapts trieben aus dem Dunkel ein weiteres Felsrelief hervor. Sie seufzten
unisono
.
Über einem aus Schädeln aufgeschichteten Knochenberg fletschte sie aus einem schrecklichen Antlitz eine dämonische Maske an
und glotzte mit weit aufgerissenen Augen, das Gesicht war das eines gehörnten Teufels. Hinter einer Schicht von fahlem Moos
kam die ausgeblichene rote Farbe hervor, mit der das makabre Götzenbild einst versehen war. Menschenknochen lagen überall
verstreut und türmten sich zu Haufen.
|323| »Das waren keine Kelten.« Reynevan musste schlucken.
»Nein«, stimmte ihm Samson zu. Das Sprechen fiel ihm schwer, es schien, als sei er der Erschöpfung nahe. »Lass uns hier nicht
verweilen. Komm endlich fort von hier. Etwas Böses hängt über diesem Ort. Und über der ganzen Gegend.«
Sie gingen weiter und achteten sorgfältig darauf, nach rechts abzubiegen, immer nach rechts; die Anzahl der Weggabelungen
nahm zu, je enger der Gang wurde.
Schließlich wurde es so eng, dass sie nur noch hintereinander gehen konnten. Irgendwo hinter der Wand vernahm Reynevan ganz
deutlich das Geräusch fließenden Wassers.
Das konnte das Bächlein sein, von dem Rupilius gesprochen hatte. Sie mussten nun schon eine gute Stunde unter der Erde gegangen
sein und sich von Burg Troský beträchtlich entfernt haben, wenigstens eine Viertelmeile, wenn nicht noch mehr.
»Ich glaube, ich spüre einen Luftzug im Gesicht ... Verdeck die Laterne. Vielleicht sehen wir Licht?«
»Das sehen wir nicht. Draußen ist immer noch Nacht.«
Der Durchgang wurde immer enger. Sie konnten nun nicht mehr vorwärts laufen, sondern mussten sich seitwärts bewegen, Schritt
für Schritt, Fuß an Fuß. Reynevan scheuerte mit dem Bauch an der Felswand entlang und ritzte diese mit den Knöpfen seines
Wamses. Für den beträchtlich größeren und breiteren Samson Honig musste die Enge des Ganges eine wahre Hölle sein, Reynevan
hörte, wie der Riese stöhnte und fluchte.
»Samson?«
»Geh nur, geh ... Ich bin hinter dir ...«
»Schaffst du es?«
»Ich schaffe es schon ... Irgendwie ... Geh du ... Finde den Ausgang ... Und gib ein Zeichen ... Wenn du nah dran bist ...«
Der kalte Luftzug in Reynevans Gesicht war immer deutlicher zu spüren, ihm schien auch, er nehme die Gerüche des Waldes wahr,
Tannen, Tannenzapfen. Er zwängte sich schneller voran und machte immer heftigere Bewegungen. Plötzlich |324| erweiterte sich der Gang, und er konnte die Sterne sehen. Es schien, als trennte ihn nur noch ein Schritt vom Ausgang.
»Hier ist der Ausgang!«, schrie er. »Samson! Ich hab’s geschafft! Ich hab ... Aaaaaaaaah!«
Er verlor den Boden unter den Füßen und fiel mit einem Schrei nach unten. Er stürzte, aber zum Glück nicht tief, sondern auf
einen Schutthang, das vom Wasser ausgehöhlte Geröll gab unter ihm nach, als wäre es lebendig, und löste sich, er rutschte
zusammen mit der Steinlawine den steilen Hang hinunter, überschlug sich im Rutschen, stieß beim Fallen gegen einen Felsen
und landete schließlich auf Moos, wobei seine Hände in das schäumende, eiskalte Wasser des Baches fuhren.
Und er spürte sogleich, dass er nicht allein war.
Er begriff es, noch bevor er das Schnauben des Pferdes und den Hufschlag auf dem Stein hörte. Und die Stimme.
»Reinmar von Bielau. Sei gegrüßt, sei gegrüßt. Wie ich mich freue!«
Er kannte diese Stimme. Der aus einer Lücke zwischen den Wolken hervorkommende Mond spendete genügend Licht, dass Reynevan
den Rappen mit dem glänzenden Fell und den Mann erkennen konnte, der die Zügel hielt, sein bleiches, in der Dämmerung leuchtendes
Vogelgesicht und die schwarzen Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen. Reynevan hatte diesen Mann schon gesehen, hatte
seine Stimme schon gehört. Und Jan Smiřický von Smiřice hatte ihm seinen Namen
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