Gottesstreiter
verraten. Dies war Birkhart von Grellenort,
der Vertraute des Bischofs und sein Häscher. Der Mann, der Peterlin getötet hatte. Reynevan erstarrte.
»Du wunderst dich darüber, dass ich hier warte?« Die Zähne des Mauerläufers blitzten. »Ich kenne diesen Gang seit vielen Jahren,
du erbärmlicher Schwachkopf. Ich wusste, dass du die Flucht auf diesem Wege wagen würdest. Dass du auf Troský bist, hat man
mir zugetragen. Ich habe meine Augen und Ohren überall. Und jetzt habe ich dich erwischt, Bielau! Endlich habe ich dich erwischt ...«
|325| Geröll polterte. Von oben herab kam Samson Honig über die Steine gedonnert. Wie ein Unwetter. Wie ein Racheengel. Plötzlich
grollte Donner, und ein Blitz fuhr hernieder – im November! Das Pferd des Mauerläufers bäumte sich unter wildem Wiehern auf,
dieser riss sein Schwert aus der Scheide. Und er warf es Reynevan vor die Füße und wich zurück.
»Reayahyah!«, heulte er. »Barzabel! Ha-Shartatan!«
Es blitzte ein zweites Mal. Noch bevor ihn der Blitz blendete, sah Reynevan, wie der Mauerläufer in panischer Angst das Gesicht
verzerrte, die Augen zusammenkniff und mit den Armen unkoordiniert zu rudern begann. Und plötzlich begann er zu schrumpfen,
sich aufzulösen, um schließlich in Gestalt eines aufgeregt krächzenden Vogels davonzufliegen.
»Adsuuumus!«
, erklang es ganz aus der Nähe, auf den Ruf antworteten weitere Stimmen, in der Nähe und weiter entfernt. Wiehern und Pferdegetrappel
erklangen.
»Adsuuumus! Adsuuumuuus!«
»Nimm das Pferd!«, keuchte Samson und drückte Reynevan die Zügel des Rappen in die Hand. »Hau ab! Los!«
Er sprang in den Sattel, Samson hieb dem Pferd kräftig auf die Kruppe, der Rappe wieherte und verschwand im Galopp zwischen
den Tannen. Obwohl der Galopp durch den dunklen Wald mit einer Katastrophe zu enden versprach, hielt der durch die Ereignisse
in Staunen versetzte Reynevan das Tier nicht auf, es schien sich und seine Geschwindigkeit den Bedingungen anzupassen und
in der Lage zu sein, Hindernissen ausweichen zu können. Hinter sich und von der Seite her vernahm er flüchtig das Klappern
von Hufen und wilde Schreie. Reynevan beugte sich über den Hals des Pferdes.
»Adsuumuus! Adsumuus!«
Der Mond verbarg sich hinter den Wolken und tauchte die Welt in undurchdringliches Dunkel. Erst jetzt begann Reynevan das
Pferd allmählich zu zügeln, auch das ging ohne Schwierigkeiten, denn der schnelle Galopp hatte den Rappen erschöpft, das Tier
atmete schwer, schnaubte, und der Schaum |326| tropfte ihm vom Maul. Reynevan hielt es an und lauschte. Durch den Wald erklangen immer noch Schreie und Pfiffe. Der Rappe
schnaubte.
Wieder ein greller Pfiff, diesmal näher. Das Pferd schüttelte den Kopf und wieherte. Reynevan fasste es an den Nüstern, das
half nicht, der Rappe schlug nur noch heftiger mit dem Kopf und wieherte noch lauter. Reynevan erkannte, dass das Pferd auf
einen Ruf reagierte, glitt, ohne lange zu überlegen, aus dem Sattel und versetzte dem Rappen mit einer von einem Strauch herabgerissenen
Rute einen Schlag auf die Kruppe. Wiehernd jagte das Pferd im Galopp los, und Reynevan rannte in der entgegengesetzten Richtung
durch den Wald davon. Einfach weiter. Er rannte blindlings, ohne anzuhalten, die Angst verlieh ihm Kraft und Gewandtheit.
Ein reißender Gebirgsbach versperrte ihm den Weg, dahinter lagen eine Anhöhe und Felsschluchten von seltsamer Gestalt. Ohne
nachzudenken, watete er durch den Bach, wobei ihm das Wasser bis an die Oberschenkel reichte, und lief dann auf die Schluchten
zu. Unvermittelt änderte er seinen Plan. Die Schluchten waren als Fluchtweg allzu offensichtlich, zudem konnte er dort in
eine Falle geraten, in eine Sackgasse ohne Ausweg. Mit aller Kraft begann er die steile Wand emporzuklettern; kurz darauf
erreichte er den kahlen Gipfel, wo er sich zitternd zwischen zwei Felsen setzte.
Noch bevor die Zeit von drei Vaterunsern verstrichen war, wirbelten schnaubende Pferde und ein gutes Dutzend Reiter in schwarzen
Mänteln das Wasser des Baches auf. Sie durchquerten ihn, verschwanden dann in den Schluchten.
Im Osten begann der Himmel etwas heller zu werden. Reynevan zitterte und klapperte mit den Zähnen. Seine nassen Kleider wurden
steif am Körper, die Kälte biss ihn wie ein wütender Hund.
Alles war vollkommen still.
|327| Elftes Kapitel
in dem Reynevan nacheinander überfallen, gerettet, gefangen genommen, verpflegt und entführt
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