Gottesstreiter
Einzelheiten
des gegenseitigen Erkennens zu fragen. Jetzt hörte er sich weiter an, wie Rupilius und Samson, nachdem sie sich erkannt hatten,
übereingekommen waren, Reynevan aus der
oubliette
zu befreien, und zwar so, dass bei niemandem der Verdacht auf Zauberei aufkam – indem sie nämlich das Kerkerschloss mit einem
Schmiedehammer zertrümmerten. Und jetzt gingen sie zu dem Geheimgang, beendete Samson flüsternd seinen Bericht, der Burg Troský
mit dem Umland verbinde.
Denn einen solchen Gang gebe es. Und obwohl die Legende davon erzähle, sei er nicht legendär.
»Schneller, schneller!«, trieb Rupilius sie an. »Wir müssen uns beeilen. Ich spüre, dass etwas Böses über der Burg kreist.«
Die Wendeltreppe war steil und ihre Stufen ungleich. Sie gingen lange Zeit hinab. Bis an eine Stelle, an der ein massiver,
rauher Felsen den Weg versperrte. Weder ein Durchgang noch eine Tür waren zu sehen. Selbstverständlich war das für Rupilius
kein Problem.
»Yashiel, Vehiel, Baxasoxa! Effetha!
Ecce cecidit paries!«
Die Wand stürzte nicht ein, wie die Bibelstelle im Zauberspruch nahe legte, sondern sie öffnete sich wie ein Vorhang. Dahinter
lag ein schwarzer Schlund, aus dem ein unangenehmer Geruch herauswehte.
»Von hier aus geht ihr allein weiter«, erklärte Rupilius und gab Samson die Laterne. »Eine Stunde Weg, nicht mehr, vor der
Morgendämmerung solltet ihr schon am Ausgang sein. Die Lampe ist magisch, sie wird euch lange genug Licht spenden, aber ich
rate euch zur Eile. Dies hier ist so etwas wie ein kleines Labyrinth, aber es ist einfach, an den Weggabelungen muss man sich
nur immer rechts halten. Das schafft ihr schon. Sucht nicht in den Nebengängen herum, haltet euch nicht zu lange |321| auf, und berührt nichts, was ihr nicht berühren solltet. Seid aufmerksam und vorsichtig. Ich habe es schon einmal gesagt:
Etwas Böses hängt über dieser Burg. Lebt wohl!«
»Aber wo kommen wir heraus?«
»Ach!«, der Magier schlug sich an die Stirn, »das hätte ich fast vergessen. Der Ausgang ist nordöstlich von der Burg. Nicht
weit davon ist ein Bächlein, wenn ihr seinem Lauf folgt, gelangt ihr zu einem Weiler namens Ktová. Das ist fast am Weg nach
Zittau ... Und wo warten eure Leute?«
»In den Wäldern nördlich des Schlosses. Wir werden sie schon finden.«
»Dann mit Gott. Leb wohl, Samson. Leb wohl, Reinmar, mein Landsmann. Vergesst unsere Abmachung nicht!«
»Wir werden sie nicht vergessen. Danke für alles, Meister und Landsmann ... Erlaube noch eine Frage: Aus welcher Gegend von Schlesien stammst du?«
»Aus Posen. Nun geht schon! Die Laterne ist zwar magisch, leuchtet aber nicht ewig.«
Der Gang, den sie betraten, war zweifellos natürlichen Ursprungs und durch das Wasser ausgehöhlt. Nur ganz am Anfang, direkt
unter der Burg, hatte er Spuren menschlicher Tätigkeit aufgewiesen. Die Wände waren aber derart unbeholfen behauen und die
hier und dort herumliegenden Reste von Spitzhacken und anderen Werkzeugen derart mit Rost überzogen, dass sich deutlich zeigte,
dass die hier durchgeführten Arbeiten bereits Jahrhunderte zurückliegen mussten. Burg Troský, deren Errichtung etwa auf das
Jahr 1370 datiert wurde, war nicht auf einem jungfräulichen Felsen erbaut worden. Es konnte kein Zweifel daran bestehen: Sowohl
die »Großmutter« wie auch die »Jungfrau« waren auf einer uralten, in die Tiefe hinabreichenden Anlage errichtet worden.
Je tiefer hinab sie gelangten, desto weniger Spuren von Menschenhand fanden sich, bis diese schließlich ganz aufhörten und
natürlichen, majestätischen Stalaktiten Platz machten, deren |322| Wasser in reichem Maße die Stalagmiten benetzte. Der Boden wurde abschüssig, sie mussten langsam und vorsichtig gehen. Als
wieder etwas unter Samsons Fuß knirschte, hielt der Riese an, beugte sich vor und leuchtete mit der Laterne. Er seufzte.
Die Spuren menschlicher Arbeit waren verschwunden. Aber nicht die Spuren von Menschen selbst. Besser gesagt, ihrer Überreste.
Sie traten auf menschliche Knochen.
Reynevan hatte schon seit geraumer Zeit das Periapt Visumrepertum bereitgehalten, jetzt aktivierte er es mit zitternder Hand
und mit einer ebensolchen Stimme.
Er hatte sich nicht geirrt, das unterirdische Gewölbe erhellte ein funkensprühendes Licht. Das Licht der Laterne erweckte
bösartige Schatten, die wie riesige Fledermäuse an den Wänden entlanghuschten, zum Leben. Bei diesem Licht schienen die
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