Gotteszahl
unterschiedlich gemusterten Bettbezügen, aber das hatte Zeit bis zum nächsten Tag.
Sie legte sich wieder hin und schloss die Augen.
Aber sie war hellwach. Versuchte, an etwas anderes zu denken.
Kristiane hatte etwas Entsetzliches gesehen. Ein Verbrechen oder dessen Folgen.
Jemand behielt Kristiane im Auge.
Wieder warf sie sich herum. Ihr Puls wurde schneller.
Sie konnte um diese Tageszeit niemanden anrufen, und Kristiane war doch bei Isak in Sicherheit. Auf irgendeine Weise musste Inger Johanne die Nacht überleben.
Am Morgen könnte sie dann mit Yngvar reden.
Sie würde ihn bitten, nach Hause zu kommen. Sie würde nicht sagen müssen, warum, er würde ihrer Stimme anhören, dass es lebenswichtig war. Yngvar würde aus Bergen nach Hause kommen, und sie würde ihm alles erzählen.
Sie könnte ihm nichts erzählen.
Wenn er glaubte, dass sie recht hatte, würde das Kristiane zerstören.
Damit könnte sie nicht leben. Sie packte Yngvars Kissen, legte es sich über den Bauch und klammerte sich daran wie an eins der Kinder.
Sie könnte aufstehen und arbeiten.
Nein.
Auf dem Nachttisch lagen drei Bücher. Sie nahm eins, blätterte zu einem Eselsohr weiter und fing an zu lesen. Die Straße von Cormac McCarthy konnte sie durchaus nicht beruhigen. Nach drei Seiten legte sie das Buch weg.
Ihr Gehirn lief auf Hochtouren und ihr war schlecht.
Yngvar wünschte sich schon lange einen Fernseher im Schlafzimmer. Jetzt bereute sie, nicht nachgegeben zu haben. Zwar hätte sie sich nicht auf irgendetwas konzentrieren können, aber sie hätte wenigstens Stimmen gehört. Für einen wilden Moment fühlte sie sich versucht, Ragnhild zu wecken. Stattdessen schaltete sie den Radiowecker ein. Er war auf NRK P2 eingestellt, und klassische Musik füllte das Zimmer, Musik, so traurig wie McCarthys postapokalyptischer Roman. Sie drehte am Knopf herum, bis sie bei der Frequenz eines Lokalradios gelandet war, das die ganze Nacht aktuellen Pop brachte.
Die Zeitung Dagens Næringsliv war auf den Boden gefallen.
Sie beugte sich aus dem Bett und hob die Zeitung auf. Es war die Ausgabe des Tages, sie hatte sie noch nicht gelesen. Es gab auch nicht viel zu lesen, es ging fast nur um die Finanzkrise. Bisher hatte sie sich vom Zusammenbruch der weltweiten Finanzmärkte nicht betroffen gefühlt, auch wenn sie das nur ungern zugab. Sie und Yngvar waren Staatsangestellte, sie würden ihre Stellen nicht verlieren, und die Zinsen befanden sich im freien Fall. Sie hatten sich schon lange nicht mehr so viel leisten können.
Sie fing auf der letzten Seite an, das machte sie immer so.
Der Hauptartikel nach den Börsennotierungen handelte von dem toten Installationskünstler Niclas Winter. Inger Johanne hatte mehrere seiner Werke gesehen, und vor allem hatte Vanity Fair, reconstruction sie beeindruckt, als die ganze Familie eines Sonntags in die Stadt gefahren war und eine Stunde bei Niclas Winters drei Installationen am Rådhuskai verbracht hatte. Kristiane war zutiefst fasziniert gewesen. Ragnhild hatte sich mehr für Möwen und Springbrunnen interessiert, Yngvar hatte den Kopf darüber geschüttelt, was heutzutage alles als Kunst durchging.
Der Mann hinterließ keine leiblichen Erben, wie sich herausgestellt hatte.
Mutter und Großeltern waren tot. Er hatte keine Geschwister, und auch die Mutter war ein Einzelkind gewesen. Es gab ganz einfach keinen Menschen, der das kleine Vermögen erben würde, das Niclas Winter, ohne es zu wissen, hinterlassen hatte. Neben dem vollendeten I was thinking of something blue and maybe grey, darling hatten sich im Atelier des verstorbenen Künstlers noch viele weitere Installationen gefunden.
Kunstkenner äußerten sich in predigtartigen Wendungen über CockPitt, eine homoerotische Huldigung an Angelina Jolies Gatten. Angeblich war für dieses Werk schon ein anonymes Gebot von vier Millionen eingelaufen. Die Quellen von DN glaubten zu wissen, dass der Schauspieler selbst es kaufen wolle.
Trotz der Finanzkrise saß das Geld für Niclas Winters Kunst jetzt, da er tot war, locker. StatoilHydro hatte die abbestellte Skulptur wiederhaben wollen und erst Ruhe gegeben, als der Nachlassverwalter die Absage gefunden hatte. Seine vorläufige Schätzung des Wertes der Skulpturen lag bei 15 bis 20 Millionen. Vielleicht auch mehr. Im Artikel wurde auf ironische Weise darauf hingewiesen, dass Niclas von armseligen Darlehen und dem Wohlwollen der Mäzene gelebt hatte und dass er erst im Tod zum wohlhabenden Mann geworden
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