Gotteszahl
war. Ein Schicksal, das Künstlern ja nicht unbekannt sei, wie der Geschäftsmann und Kunstsammler Christen Sveaas betonte, dessen umfangreiche Sammlung in Kistefos zwei kleinere Installationen von Niclas Winter beinhaltete. Zufrieden konnte er jetzt eine radikale Wertsteigerung feststellen.
In einem weiteren Artikel hieß es, Niclas habe offenbar seine Dämonen gehabt. Er war HIV-positiv, hatte den Ausbruch der Krankheit aber mit Medikamenten in Schach halten können. Dreimal hatte er sich Entziehungskuren unterziehen müssen. Der letzte Aufenthalt, vier Jahre zuvor, war ein Erfolg gewesen. Seine besten Werke waren seither entstanden, und zwei seiner Mitarbeiter äußerten großes Erstaunen darüber, dass Niclas offenbar wieder beim Heroin gelandet war. Er hatte vor dem internationalen Durchbruch gestanden und vor allem in den letzten Wochen vor seinem Tod zufrieden gewirkt, fast glücklich. Da die früheren Rückfälle Reaktionen auf künstlerische Misserfolge waren, war nur schwer zu begreifen, warum er sich jetzt wieder auf Drogen verlegt haben sollte.
Inger Johanne spürte, dass sie ruhiger atmete und jetzt sogar müde wurde. Über das Unglück anderer zu lesen, konnte das eigene in eine andere Perspektive rücken. Sie ließ die Zeitung auf die Decke sinken, und die Augen fielen ihr zu.
Kristiane kann nichts passieren, dachte sie, und endlich stellte der Schlaf sich ein.
Kristiane kann bei Isak nichts passieren, und morgen rede ich mit Yngvar. Mit uns allen wird alles gut gehen.
Als sie vier Stunden später aufwachte, lag die Zeitung noch immer vor ihr auf der Decke, aufgeschlagen bei dem Artikel über den toten Installationskünstler Niclas Winter.
»Hast du diesen Artikel gelesen?«
Der Anwalt Kristen Faber schaute unwillig von seinen Unterlagen auf und nahm die Zeitung, die seine Sekretärin ihm hinhielt. »Worum geht es denn?«, murmelte er und versuchte, den Rest seines Kopenhageners zu verzehren, ohne zu krümeln.
Eine feine Schicht Blätterteig rieselte auf sein Hemd, und er beugte sich vor, um alles wegzuwischen, ohne Flecken zu hinterlassen.
»Ist das nicht die Zeitung von gestern?«
»Doch«, sagte die Sekretärin. »Ich nehme sie nach der Arbeit immer mit nach Hause, und da habe ich das hier gefunden. Kein Wunder, dass dein Mandant nicht aufgetaucht ist. Er ist tot.«
»Wer?«
Er hielt die Zeitung mit einer Hand vor sein Gesicht. »Ach«, sagte er mit vollem Mund. »Der also, meine Güte. War der nicht noch ziemlich jung?«
»Wenn du den Artikel liest«, sagte die Sekretärin mit nachsichtigem Lächeln, »dann …«
»Ich lese nie, was hinten in der Zeitung steht. Niclas Winter. Ja. Aha. Überdosis, offenbar. Armer Teufel. Sieht aus wie …«
Jetzt kaute er nicht mehr. »Verflixt. Der war doch bekannt. Nur ich hatte nie von dem Typen gehört. Ich meine, für mich war er nur ein angehender Mandant.«
Als er die Zeitung vor sich auf den Tisch legte, holte seine Sekretärin Kehrblech und Handfeger. Er las weiter, während sie um ihn herum den Boden säuberte, und als er fertig war, kam sie schon mit einer Thermoskanne voll frisch aufgebrühtem Kaffee zurück.
»Dein Frühstück ist nicht unbedingt gesund«, sagte sie freundlich und füllte seine Tasse. »Du müsstest essen, ehe du von zu Hause weggehst. Graubrot oder Müsli. Keine Kopenhagener, meine Güte. Wann hast du zum Beispiel zuletzt ein Glas Milch getrunken?«
»Wenn ich hier eine Mutter bräuchte, würde ich meine eigene einstellen. Wo stecken die verdammten Unterlagen?«
Er blätterte den Stapel der aktuellen Fälle durch. Er war sicher, den braunen versiegelten Umschlag auf dem Haufen auf der linken Schreibtischseite abgelegt zu haben, ehe er nach Hause gefahren war, um nach der anstrengenden Rückreise von Barbados zu duschen. Jetzt war der Umschlag nirgendwo zu sehen.
»Verdammt. Ich muss in einer Viertelstunde im Gericht sein. Kannst du nicht versuchen, die Unterlagen über diesen Typen zu finden? Die liegen in einem versiegelten Umschlag. Darauf steht einfach nur ›gehört Niclas Winter‹ und ein Geburtsdatum.«
Er stand auf, warf das Sakko über und griff auf dem Weg zur Tür zur Aktentasche. »Und Vera! Nicht aufmachen! Die Freude will ich mir nicht nehmen lassen!«
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und wieder war es ganz still in der Kanzlei von Rechtsanwalt Kristen Faber.
Astrid Tomte Lysgaard wusste nicht so recht, ob es ihr gefiel, dass das Haus so still wurde, wenn Lukas zur Arbeit fuhr und die Kinder
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