Gotteszahl
arbeite als …«
»Wie gesagt«, fiel Silje ihr ins Wort. »Ich weiß, wer Sie sind. Darf ich Sie Inger Johanne nennen?«
»Natürlich. Ich arbeite an einem Forschungsprojekt über Hass.«
»Interessant.«
Das schien sogar ehrlich gemeint zu sein. Ihr Blick war direkt und sie legte den Kopf schräg, wie um sich zu konzentrieren.
»Hasskriminalität«, korrigierte Inger Johanne sich selbst. »Ich soll für die Polizeileitung eine größere Abhandlung über Hasskriminalität verfassen.«
Silje Sørensen stellte die Tasse auf ihren Schreibtisch. Sie kniff die Lider zusammen und befeuchtete ihre Lippen mit einer hellroten Zungenspitze.
»Ach.«
»Also es geht um Übergriffe gegen Individuen, die motiviert sind von …«
»Ich weiß durchaus, was Hasskriminalität ist.«
Silje Sørensens ärgste Unsitte ist, andere zu unterbrechen, dachte Inger Johanne.
»Natürlich«, sie nickte. »Natürlich weißt du das.«
Sie schwiegen, während jede darauf wartete, dass die andere etwas sagte. Inger Johanne versuchte, Silje Sørensens Alter zu erraten. Sie musste jünger sein als sie selbst, aber wohl nicht viel. Fünfunddreißig vielleicht. Möglicherweise noch jünger. Sie war gepflegt und gut angezogen, ohne an einem Ort wie diesem aufgetakelt zu wirken.
Erlesen, dachte Inger Johanne.
Nie im Leben hatte Inger Johanne sich erlesen gefühlt.
Siljes Hände waren schmal und ihre Nägel so gepflegt, dass Inger Johanne ihre eigenen verbarg, indem sie ihre Tasse hinstellte und die Hände unter ihren Hintern schob.
»Geht es um Hasskriminalität, die sich gegen eine bestimmte Gruppe richtet, oder ganz allgemein?« Silje beugte sich über den Tisch vor und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte.
»Weißt du«, sagte Inger Johanne stockend. »Ich glaube, ich fange mit dem Anfang an. Hast du eine halbe Stunde, um dir eine ganz bestimmte Geschichte anzuhören?«
Ein Diamant an Silje Sørensens linkem Ringfinger glitzerte im grellen Bürolicht, als sie großzügig und auffordernd winkte. »Na los, ich bin ganz Ohr.«
Inger Johanne begann mit ihrem Bericht, ohne zu merken, dass sie einen ziemlich unkleidsamen Milchkakaobart hatte.
Yngvar hatte noch nichts von Inger Johanne gehört, und das machte ihn nervös. Er war ins Hotelzimmer gegangen, um einige Notizen zu holen, als die Versuchung, sich für einen Moment hinzulegen, zu groß wurde. Im tiefsten Herzen hatte er den Verdacht, dass er deshalb die Unterlagen vergessen hatte. Das Mittagessen im Hotel war viel besser als das, was die Polizei anbot, und da es in seiner Vollpension inbegriffen war, brauchte er nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben.
Abgesehen von der Sache mit dem Schokoladenpudding.
Er hatte zweimal nachgenommen.
Jetzt also streifte er die Schuhe ab und ließ sich aufs Bett fallen. Das war zu weich, vor allem, wenn er auf Decke und Tagesdecke lag, aber wenn er es sich bequem machte, würde er einschlafen.
Er wollte nicht schlafen.
Er wollte Lukas erreichen.
Seit der Kletterpartie auf dem Dach schien der Kerl mit ihm Katz und Maus zu spielen. Yngvar wollte Astrid nicht unnötig stören, seit der traurigen Begegnung draußen in Os. Er hatte Lukas deshalb nur auf dem Mobiltelefon angerufen, hatte aber immer nur den Anrufbeantworter erreicht. Und Lukas rief nie zurück. Schließlich hatte Yngvar es in der Universität versucht, aber die hatten keine Ahnung, wo Lukas Lysgaard steckte. Er konnte offenbar mit viel Nachsicht rechnen, nach allem, was er durchgemacht hatte.
Yngvars Augen fielen zu.
Es machte ihm Sorgen, dass Inger Johanne nicht angerufen hatte.
Sie war am Telefon am Vorabend so seltsam gewesen.
Er fuhr hoch.
Dazu hatte er keine Zeit.
Seine Verärgerung über den widerborstigen Sohn der Bischöfin ließ ihn hellwach werden.
»Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt«, murmelte er wütend vor sich hin, während er die Privatnummer in Os heraussuchte. Er wählte die Nummer und hielt sich das Telefon ans Ohr. Es klingelte so lange, dass er schon aufgeben wollte.
»Hier Lysgaard«, sagte endlich eine müde Frauenstimme.
»Hallo. Hier ist Yngvar Stubø. Es tut mir leid, dass ich Sie neulich gestört habe, ich hoffe nicht …«
»Ist schon gut. Kein Problem. Sie haben Lukas doch noch gefunden, nehme ich an?«
»Das schon. Aber ich muss noch einmal mit ihm sprechen. Nur meldet er sich nicht unter seiner Nummer, und da dachte ich, Sie wüssten vielleicht, wo er ist?«
»Er ist hier.«
»Zu Hause? Um diese
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