Gotteszahl
zugehört. Irgendwann während Inger Johannes überzeugender und unglaublicher Darstellung hatte eine feine Röte sich über den Hals der Hauptkommissarin ausgebreitet. Jetzt sah Inger Johanne ihre Halsschlagader deutlich pochen.
»Nein«, gab Inger Johanne nach kurzem Zögern zu. »Er ist gerade in Bergen.«
»Das ist mir schon klar, aber es ist doch …«
Silje fuhr sich mit den Fingern durch die halblangen Haare. Der Diamant funkelte. »Mal sehen, ob ich das richtig zusammenfassen kann.«
Ein blauer Kugelschreiber schwebte zwischen Mittel- und Zeigefinger.
»Die 25er«, begann sie, »sind also eine Organisation, über die nur sehr wenig bekannt ist. Du glaubst, dass sie nach Norwegen gekommen sind, aber du weißt nicht, weshalb. Du nimmst an, dass sie begonnen haben, Homosexuelle oder Sympathisanten nach einem ziemlich genau festgelegten Zeitplan umzubringen, und dieser Zeitplan basiert auf den Zahlen 19, 24, und 27. Die kryptischen Zahlen beziehen sich auf den Koran und zwei Stellen im Brief des Paulus an die Römer.«
Sie schaute von ihren Notizen auf.
»Ja«, sagte Inger Johanne kleinlaut.
»Ist dir klar, dass sich das total verrückt anhört?«
»Ja.«
»Möchtest du wissen, warum ich mir das seit fast …«
Sie schaute auf ihre Omega-Uhr aus Gold und Stahl.
»… einer Stunde anhöre?«
»Ja.«
Inger Johanne bereute alles bitterlich. Natürlich hätte sie mit Yngvar sprechen müssen; mit Ynvgar, der sie kannte und wusste, was sie konnte und wie sie dachte. Jetzt fühlte sie sich neben dieser Hauptkommissarin mit den gepflegten Nägeln und den Haaren, die sicher am selben Morgen noch von einem Friseur gelegt worden waren, wie das letzte Trampel.
Silje Sørensen stand auf.
Sie öffnete eine Schreibtischschublade. Sie war so klein, dass sie sich fast nicht zu bücken brauchte. Inger Johanne kam der Gedanke, dass es ihr schwergefallen sein musste, die körperlichen Anforderungen für die Aufnahme an der Polizeihochschule zu erfüllen. Silje Sørensen blieb eine Weile schweigend stehen und sah sich irgendetwas an, was Inger Johanne nicht erkennen konnte. Dann wurde die Schublade wieder geschlossen, und Silje Sørensen trat ans Fenster. »Und am 27. Dezember hast du eigentlich keinen Mord«, sagte sie mit dem Rücken zu Inger Johanne. »Du nimmst nur an, dass dieser …«
Die Pause dauerte so lange, dass Inger Johanne murmelte: »Niclas Winter.«
»Dass dieser Niclas Winter ermordet wurde und nicht an einer Überdosis gestorben ist.«
Inger Johanne überlegte, ob sie sich einfach verabschieden sollte. Die Schultertasche lag zu ihren Füßen, halb geöffnet, und sie konnte sehen, dass sie drei Anrufe verpasst hatte.
»Außerdem«, sagte Silje Sørensen so plötzlich und so laut, dass Inger Johanne zusammenzuckte, »scheinen sie in den USA doch nur Homosexuelle umzubringen und keine Sympathisanten. Oder?«
»Aber es ist so wenig über sie bekannt, und sie haben …«
»Weißt du wirklich, dass sie sich an Daten gebunden fühlen?«
»Ja!«
Das hatte Inger Johanne fast gerufen. »Ich habe meine …«
Sie riss sich zusammen, sie hatte ohnehin schon Glaubwürdigkeitsprobleme, da brauchte sie nicht auch noch auf eine Freundin zu verweisen.
»Ich habe Anwältin Winslow beim APLC angerufen«, korrigierte sie sich. »Dieses Büro, von dem ich erzählt habe.«
Das stimmte. Auf dem Weg zur Polizei hatte Inger Johanne das Bedürfnis verspürt, ihre magere Geschichte ein wenig auszupolstern, und sie hatte Karen in den USA angerufen. Erst als ihre Freundin sich gemeldet hatte, war Inger Johanne eingefallen, dass in Alabama Nacht war. Es spiele keine Rolle, hatte Karen beteuert, sie habe jedenfalls nicht geschlafen.
»Wie gesagt, der Hintergrund des Namens ›The 25’ers‹ ist von Numerologen ermittelt worden. Sie hatten natürlich mehr, worauf sie aufbauen und ihre Theorien erstellen konnten. Die sechs Morde, die sie bisher mit der Organisation in Verbindung bringen, wurden am 19., 24. und 27. verübt. Das weiß ich von Anwältin Winslow.«
Sie wischte sich die Oberlippe ab und fügte verlegen hinzu: »Seit heute Morgen.«
Silje Sørensen ging wieder zu ihrem Schreibtisch. Öffnete die Schublade, schaute hinein.
Plötzlich setzte sie sich. Die Schublade stand noch immer offen. »Wenn du vor einer Woche gekommen wärst«, sagte sie, »dann hätte ich dich nach fünf Minuten hinauskomplimentiert. Heute habe ich das nicht getan, denn …«
Sie sahen einander an. Inger Johanne biss sich auf
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