Gotteszahl
Forschungen zusammenhängt. Dieser Hasskiste. Irgendetwas, das … ich weiß nicht. Jedenfalls stimmte die Theorie so eindeutig mit dem Material überein, auf dem Oslo sitzt, dass sie jetzt einen Stab für eine größere Ermittlung in Zusammenarbeit zwischen Osloer Polizei und Kripo eingerichtet haben. Und dazu gehören wir. Viel mehr weiß ich nicht. Pst. Jetzt kommen Nachrichten.«
»Pst«, wiederholte Yngvar verärgert. »Ich hab ja gar nichts gesagt.«
Sigmund drehte lauter.
TV 2 begann mit dem Zeitungsartikel.
Sie hatten offenbar Zeitprobleme gehabt, denn der Bericht wurde mit Bildern aus dem Archiv unterlegt. Sie hatten nicht einmal Winterfotos heraussuchen können, das Polizeigebäude lag in Sonnenlicht gebadet da, und leicht bekleidete Menschen gingen durch den Haupteingang aus und ein. Die Stimme aus dem Off konnte nicht mehr erzählen, als auch in der Zeitung stand.
»Pst«, sagte Sigmund noch einmal, als die Kamera eine schmächtige Frau in Uniform mit Goldstreifen und Sternen auf den Schulterklappen zeigte.
»Wir können den Fall jetzt überhaupt nicht kommentieren«, sagte die Frau energisch und schob das Mikrofon weg.
Es wurde ihr wieder aufgedrängt.
»Können Sie bestätigen, was heute in Verdens Gang steht?«, wurde sie gefragt.
»Ich kann gar nichts dazu sagen.«
»Wann wird die Öffentlichkeit über diesen Fall informiert, der ja offenbar sehr schwerwiegend und umfassend ist?«
»Wie gesagt: Ich kann überhaupt nichts sagen über …«
Sigmund knipste den Fernseher aus. »Wir fahren«, erklärte er und erhob sich. »Ich bin jetzt richtig neugierig darauf, was hier eigentlich Sache ist. Ich hole mein Gepäck, dann sehen wir uns in zwei Minuten unten. Was ist das da eigentlich?«
Er nickte zum Nachttisch hinüber, auf den Yngvar das Porträt der Unbekannten gelegt hatte.
»Das ist das Foto, über das ich mit dir gesprochen habe«, sagte Yngvar.
»Welches Foto?«
»Das, was in Eva Karins Zimmer gestanden hat. Wir müssen damit bei der Polizei vorbeifahren. Ich will wissen, wer es ist. Und die Polizei hier kann das vermutlich am ehesten herausfinden.«
»Woher hast du es?«, fragte Sigmund.
»Lange Geschichte.«
»Verschon mich. Wir sehen uns unten, ja?«
Yngvar nickte. Er saß noch immer auf dem Bett. Er konnte nur mit Mühe verdauen, was er in der letzten halben Stunde erfahren hatte, und ihm war schwindlig. Wann hatte er sich zuletzt so überfahren gefühlt? Vor Erschöpfung musste er einen Extraschritt einlegen, um das Gleichgewicht zu halten, als er dann endlich aufstand.
Dass die Zeitung so viel mehr wusste als er, in einem Fall, in dem er selbst ermittelte, war eine Blamage. Viel schlimmer aber war es, dass Inger Johanne mit einer Sache, von der er keine Ahnung hatte, zur Osloer Polizei gegangen war.
Yngvar nahm seinen kleinen Koffer und seinen Mantel und ging zur Tür. Als die hinter ihm zufiel, wurde ihm klar, dass das bohrende Gefühl in seinem Zwerchfell nicht vom Hunger kam.
Er fühlte sich von seiner eigenen Frau gedemütigt und schaffte es nicht einmal, wütend zu sein. Er hatte einfach nur Bauchschmerzen.
Ungefähr wie früher, als er klein war und sich schämte.
Kristen Fabers Sekretärin schämte sich nicht im Geringsten, wenn sie ab und zu Unterlagen kopierte, um sie mit nach Hause zu nehmen. Es gefiel ihrem Mann so gut, was sie über manche Fälle erzählte, und ab und zu konnten sie sich über polizeiliche Vernehmungen köstlich amüsieren. Etwa wenn der Sünder versuchte, sich aus einer eindeutigen Schuld herauszureden, und sie lachten auch über die hilflose Argumentation der armen Teufel, die sich keinen Anwalt leisten konnten. Sie behielt diese Kopien nie lange. Sie landeten im Kamin, wenn sie ihren Unterhaltungswert eingebüßt hatten.
Was das Testament aus dem großen Eichenschrank im Archivraum anging, so hatte sie es nicht kopiert und in die Tasche gesteckt, weil es so komisch war. Ihr Mann wurde sogar recht ernst, als sie ihm beim Abendbrot davon erzählte. Er hatte nie von dem armen Niclas Winter gehört, wohl aber von dem Erblasser. Er wollte gern einen Blick auf das Dokument werfen, deshalb hatte sie morgens zwei Kopien gemacht. Nur eine landete in Anwalt Fabers Archiv.
Es konnte doch nicht so schlimm sein, wenn ihr Mann einen Blick darauf warf.
Jetzt heftete sie das Begleitschreiben mit dem Testament zusammen und steckte beides in einen Umschlag. Sie hatte knapp zwei Minuten gebraucht, um festzustellen, dass das Nachlassgericht der
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