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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Leben zu nehmen, dachte er träge, bis ihn endlich ein gesegneter Schlaf mitnahm.
    Yngvar Stubø wachte am Freitag, dem 16. Januar, um zwanzig vor sieben mit dem Gefühl auf, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Wann immer er kurz vor dem Einnicken gewesen war, hatte er vor sich das Bild der Frau aus Eva Karins Schlafzimmer gesehen. Die Vorstellung, sie könnten recht mit der Annahme haben, dass es sich um ein verschwundenes oder verstoßenes Kind handelte, dass sie die Frage aber eine Generation zurückverlegen mussten, hatte ihn immer wieder hellwach werden lassen. Die Theorie wirkte im Laufe der Stunden immer überzeugender. Dass die Bischöfin die Erinnerung an ihre Eltern schützen wollte, wirkte viel wahrscheinlicher, als dass sie sich selbst vor der Schande schützen wollte, mit sechzehn Jahren und unverheiratet schwanger geworden zu sein.
    Es muss eine Schwester sein, dachte Yngvar und hob die Beine aus dem Bett. Als er zuletzt auf die Uhr geschaut hatte, war es kurz nach fünf gewesen.  Anderthalb Stunden hatte er also immerhin geschlafen.
    Ein weiterer Grund für die schlaflose Nacht war, dass Inger Johanne nicht angerufen hatte. Er hatte seit anderthalb Tagen nicht mit ihr gesprochen. Am Vorabend hatte er es dreimal versucht, hatte aber immer nur den mechanischen Klang ihrer Bandstimme gehört, die bat, nach dem Piepton eine Nachricht zu hinterlassen. Beim ersten Mal hatte er es getan. Sie hatte trotzdem nicht zurückgerufen. Verärgerung mischte sich mit leichter Besorgnis, als er ins Badezimmer stapfte.
    Er hatte es satt, im Hotel zu wohnen.
    Das Bett war zu weich.
    Die Seife ließ seine Hände austrocken, und das Essen schmeckte ihm nicht.
    Yngvar wollte nach Hause.
    Es wurde an die Tür gehämmert. Gereizt zog er die Spülung, wickelte sich ein Handtuch um die Taille und ging zur Tür. Der bittere Geruch von Morgenurin umgab ihn. Er öffnete die Tür ein wenig und presste sein Gesicht an den Spalt.
    »Was zum Teufel ist denn mit deinem Telefon los?«, fragte Sigmund Berli und drückte gegen die Tür, während er mit der anderen Hand Verdens Gang hochhielt. »Hast du das hier gesehen? Wir müssen nach Hause, mit dem allernächsten Flugzeug. Steig in die Fetzen und pack den Mantelsack.«
    »Ja, ich wünsche dir auch einen guten Morgen«, sagte Yngvar verärgert und ließ seinen Kollegen herein. »Bitte erzähle mir eins nach dem anderen, und fang mit dem Telefon an.«
    »Ich hab seit gestern Abend fünfmal versucht, dich anzurufen. Du darfst dich nicht so abschotten.«
    »Hab ich doch nicht«, sagte Yngvar. »Mach noch einen Versuch.«
    Er nahm sein Mobiltelefon vom Nachttisch, und Sigmund gab die Nummer in sein eigenes ein. »Jetzt klingelt es«, sagte Sigmund mit dem Telefon am Ohr. »Hast du es auf lautlos gestellt, oder was?«
    »Nein.«
    Yngvar starrte das Display an. Nichts passierte.
    Inger Johanne konnte es also doch versucht haben.
    »Warum rufst du mich nicht einfach auf dem da an?«, fragte Yngvar und zeigte auf das Hoteltelefon auf dem kleinen Schreibtisch am Fenster.
    »Hab nicht dran gedacht«, sagte Sigmund fröhlich. »Aber scheiß da jetzt drauf. Wir fahren nach Hause. Jetzt sofort. Sieh dir das an!«
    Yngvar nahm die Zeitung entgegen, als ob sie beißen könnte.
    Hassgruppe hinter sechs Morden, schrie die Titelseite. Der Untertitel lautete: Polizei mit Horrortheorie – Bischöfin Lysgaard auch ein Opfer.
    »Ja, zum Teufel«, sagte Yngvar. »Was soll der Scheiß denn?«
    »Lies«, sagte Sigmund. »Dann wirst du erfahren, dass die Osloer Polizei einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Mord an Marianne Kleive und dem an irgendeinem kleinen Kurden sieht, der kurz vor Weihnachten ganz tot und halb aufgelöst aus dem Hafenbecken gefischt worden ist.«
    »Hä? Aber was hat Eva Karin damit zu tun?«
    Yngvar ließ sich aufs Bett fallen und schlug die Seiten 5 und 6 auf. Er konnte sich kaum konzentrieren. Seine Augen jagten über den Text. Nach anderthalb Minuten schaute er auf, schleuderte die Zeitung an die Wand und brüllte: »Warum zum Teufel weiß die Zeitung das früher als ich? Dass sie zu viel zu früh wissen, damit kann ich inzwischen ja leben, aber dass ich …«
    Er sprang so plötzlich auf, dass ihm das Handtuch zu Boden fiel. Er achtete nicht darauf, dass er jetzt ganz nackt war, sondern ballte die Fäuste und fauchte Sigmund an: »Müssen wir uns jetzt jeden Morgen in der Zeitung über unsere Arbeit informieren? Das ist doch … Das ist doch … Scheiße, Sigmund, das ist

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