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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Bankkonto eingezahlt. Das Geld wurde als Vergütung für Reisen und Veranstaltungen bezeichnet und ganz normal versteuert. Anfangs hatte er dabei ein gewisses Unbehagen verspürt.
    Die großzügigen Summen ließen ihn wie einen Auftragsmörder erscheinen.
    Jetzt legte er die Bibel beiseite.
    Die Stewardess deckte für ihn den Tisch und servierte die Vorspeise.
    Er wurde bezahlt, überlegte er, während seine Blicke den geschickten Händen der Frau folgten. Aber nicht deshalb mordete er.
    Richard Forrester tötete auf Befehl des Herrn. Das Geld brauchte er, um die Aufträge auszuführen. Wie jetzt, da es nicht möglich gewesen wäre, schnell genug nach Hause zu kommen, wenn er nicht erster Klasse hätte reisen können.
    Selten fragte er sich noch, woher die Mittel stammten. Früher hatte ihn das in den Nächten wachgehalten, aber sein Vertrauen zu Gott kannte keine Grenzen. Er konnte das leise Unbehagen rasch überwinden, wenn er ab und zu darüber staunte, wie viel er auf dem Konto hatte.
    »Danke«, sagte er, als die Stewardess ihm Wasser nachschenkte.
    Er fing an zu essen und beschloss, nicht mehr daran zu denken.
    »Denken Sie gut darüber nach. Das ist absolut entscheidend, Erik.«
    Yngvar hatte sich diesmal in Eva Karins Sessel gesetzt. In dem gelbbraunen Stoff hing noch ein Duft, eine fast verwischte Erinnerung an eine ältere Frau, die es nicht mehr gab. Yngvar hatte den Witwer noch nie beim Vornamen genannt, aber unter diesen Umständen kam es ihm angemessen vor. Fast respektlos, dachte er und versuchte, den Mann dazu zu bringen, den Blick zu heben.
    »Eva Karin glaubte, Jesu Segen zu haben«, sagte Erik weinend. »Ich habe mich nie richtig damit abfinden können, aber …«
    »Jetzt hören Sie mir bitte zu«, sagte Yngvar und beugte sich zu Erik Lysgaard vor. »Ich habe kein Bedürfnis und kein Recht, mich zum Richter über Ihr und Eva Karins Leben zu machen. Ich muss nicht einmal etwas darüber wissen. Ich muss nur herausfinden, wer Eva Karin umgebracht hat. Deshalb frage ich Sie ein weiteres Mal: Wer außer Ihnen, Martine und Eva Karin wusste von dieser … Beziehung?«
    Erik sprang auf. Er griff sich an den Kopf und schwankte.
    Yngvar wollte ihm zu Hilfe kommen, aber Erik trat nach ihm, und Yngvar wich zum Sessel zurück.
    »Rühren Sie mich nicht an! Es konnte nicht richtig sein. Sie wollte nicht hören! Ich habe mich damals überreden lassen, es war so …«
    Vor zweiunddreißig Jahren hatte  Yngvar Stubø an der Polizeischule angefangen, der Hochschule, wie sie damals noch hieß. In diesen Jahren hatte er so ungefähr alles gehört und gesehen. Erfahrungen gemacht, die er niemals ganz überwunden hatte. Seine private Tragödie war vernichtend genug gewesen. Anderen Eltern sagen zu müssen, dass ihr Kind ermordet, dass Ehepartner getötet oder ein Elternteil bei einer Verfolgungsjagd von einem Streifenwagen umgemäht worden war, das war in vieler Hinsicht trotzdem noch schlimmer. Im Laufe der Jahre hatte er eine Art Strategie für die Begegnung mit bodenloser Verzweiflung entwickelt, eine Methode, die es ihm ermöglichte, seine Aufgabe auszuführen.
    Jetzt gelang ihm das nicht.
    Vor über einer halben Stunde hatte er Erik Lysgaard gesagt, dass er es wisse. Er hatte versucht zu erklären, warum er gekommen war. Wieder und wieder hatte er die unzusammenhängende Geschichte des Ehemannes darüber unterbrochen, wie ein Leben auf einem so großen Geheimnis aufgebaut worden war, dass er darin niemals wirklich Platz gehabt hatte. Es war Eva Karins Geheimnis gewesen, Eva Karins Entschluss.
    Erik Lysgaard schrie laut auf. Er stand mitten im Zimmer, in seinen viel zu weiten Kleidern, die nicht mehr ganz sauber waren, und schrie seine Anklage heraus. Er klagte Gott an. Eva Karin. Martine.
    Aber vor allem sich selbst.
    »Wie konnte ich es nur glauben«, jammerte er und schnappte nach Luft. »Wie konnte ich … Ich wollte nicht wie sie sein … nicht wie Studienrat Berstad, nicht wie … Sie müssen verstehen, dass …«
    Plötzlich verstummte er. Er machte drei Schritte auf Yngvars Sessel zu. Die grauen Haarbüschel standen nach allen Seiten ab, seine Lippen waren lila. Feucht. Die Augen waren eingesunken und sein Kinn zitterte. »Studienrat Berstad hat sich umgebracht«, flüsterte er heiser. »Im Frühsommer 1962. Wir gingen noch zur Schule, Eva Karin und ich. Ich konnte nicht so werden wie er. Ich konnte nicht so leben wie er! Ich hatte die Blicke gesehen. Ich hatte die gemeinen Bemerkungen gehört, sie

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