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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Gebrauchsanweisung schüttelte.
    »Komm lieber her, dann sehen wir uns das zusammen an.«
    Der Junge kam trotzig an und knallte das kleine Buch auf den Couchtisch. Der Hubschrauber stand noch immer nur zur Hälfte zusammengesetzt auf dem Schreibtisch.
    »Rolf hat versprochen mir zu helfen«, sagte der Junge mit vorgeschobener Unterlippe.
    »Du weißt, wie Rolfs Kunden sein können.«
    »Reich, doof und mit ziemlich fiesen Kötern.«
    Der Vater versuchte, sein Lächeln zu verbergen. »Na ja. Wenn eine englische Bulldogge beschließt, ihre Jungen am ersten Weihnachtstag zu bekommen, dann kommen sie eben am ersten Weihnachtstag. Ob sie nun fies sind oder nicht.«
    »Rolf sagt, dass die Bulldoggen in Grund und Boden gezüchtet worden sind. Dass denen nicht mal Junge werfen können.«
    »Dass sie nicht mal Junge werfen können.«
    »Das müsste verboten werden. Tierquälerei!«
    »Finde ich auch. Lass mal sehen.«
    Er nahm die Gebrauchsanweisung und blätterte darin, während er zu dem prachtvollen Esstisch hinüberwanderte. Er hatte das Heft von einem autorisierten technischen Übersetzer durchgehen lassen, um die Montage für den Jungen leichter zu machen. Das Modell vor ihm war so groß, dass er für einen Moment zweifelte. Obwohl der Junge ein ungewöhnliches mechanisches Talent an den Tag legte, war das hier doch ein wenig verfrüht. Der Mann im Laden in Boston hatte betont, dass die empfohlene Altersgrenze für dieses Spielzeug bei sechzehn Jahren liege, nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass es fast ein Kilo wog und für die Umgebung ein Risiko darstellen könnte, sowie es in der Luft wäre.
    »Hm«, sagte der Vater und kratzte sich zwischen den Bartstoppeln. »Ich versteh das nicht so ganz.«
    »Der Rotor ist das Problem«, sagte der Junge. »Schau mal her, Papa!«
    Die eifrigen Finger versuchten, die Drehflügel zusammenzusetzen, aber etwas stimmte nicht. Der Junge gab bald auf und legte den unvollständigen Rotor stöhnend weg.
    Der Vater fuhr ihm durch die Haare. »Ein bisschen mehr Geduld, Cusi. Geduld! Die hättest du zu Weihnachten kriegen müssen.«
    »Nenn mich nicht so. Und ich mach gar keinen Fehler, mit der Gebrauchsanweisung stimmt etwas nicht.«
    Marcus Koll zog einen Stuhl heran, setzte sich und zog die Brille aus der Brusttasche. Der Junge setzte sich neben ihn. Die blonden Locken kitzelten den Vater im Gesicht, als der Kleine sich über die Gebrauchsanweisung beugte. Ein schwacher Duft nach Seife und Pfefferkuchen ließ den Vater lächeln, und er musste sich zusammenreißen, um den Jungen nicht zu umarmen, dieses Kind, das er sich allen und allem zum Trotz zugelegt hatte.
    »Du bist das Beste, was ich habe«, sagte er leise.
    »Ja, sicher, Nervbolzen. Was bedeutet das hier? Führen Sie die längste Stange durch den abgewinkelten Ring ganz unten an Drehflügel 2 . Es gibt doch bloß eine Stange. Und wo ist der blöde Ring?«
    Die Dezembersonne warf weißes Licht ins Wohnzimmer. Draußen war es klar und kalt. Reifkristalle ließen die Bäume aussehen wie mit Lack übersprüht. Zwischen den Zweigen vor dem Fenster konnte er tief unten den Oslofjord sehen, graublau und still, ohne Lebenszeichen. Das Knistern des Kaminfeuers mischte sich mit dem Schnarchen der beiden englischen Setter, die in einem riesigen Korb neben der Tür lagen. Aus der Küche roch es jetzt nach Truthahn, ein Brauch, auf dem Rolf bestanden hatte, als er sich vor fünf Jahren endlich dazu hatte überreden lassen, hier einzuziehen.
    Marcus Koll jr. lebte sein Leben in einem Klischee und fand das wunderbar.
    Als neun Jahre zuvor sein leiblicher Vater gestorben war, unmittelbar vor Marcus Koll jrs. fünfunddreißigstem Geburtstag, hatte sein Sohn das väterliche Erbe zuerst nicht annehmen wollen. Georg Koll hatte dem Jungen niemals etwas anderes gegeben als einen guten Namen. Der Name stammte vom Großvater, und er hatte es ihm ermöglicht, so zu tun, als ob der Vater nicht existierte, damals als Junge, als er nicht begreifen konnte, warum er Papa nicht jedes zweite Wochenende besuchen durfte. Schon mit zwölf Jahren ahnte er, dass die Mutter nicht einmal für ihn und die beiden jüngeren Geschwister die Unterhaltszahlungen erhielt, auf die sie Anspruch hatte. Als der Junge fünfzehn wurde, beschloss er, niemals wieder mit seinem Erzeuger zu sprechen. Der Kerl hatte seine Chancen verspielt. Es war das Jahr, in dem Marcus zum Geburtstag eine Klappkarte mit hundert Kronen erhielt, mit der Post geschickt und mit fünf Wörtern, die nicht

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