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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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hatte Nacht für Nacht über Analysen und Berichten gesessen, aber das einzige Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmte, war die Stagnation auf dem Immobilienmarkt der USA. Als es später im Sommer zu den ersten Abwertungen von Obligationspaketen im Zusammenhang mit den unsicheren SubprimeDarlehen kam, fasste er über Nacht einen Entschluss. Innerhalb von drei Monaten machte er über eine Milliarde aus US-Aktien zu Geld, mit hohem Gewinn. Das Vermögen ließ er in norwegischen Banken stehen, bis die Zinsen zu sinken begannen.
    Jetzt kaufte Marcus Koll Grundstücke, zu einem Zeitpunkt, als alles billig war.
    In einigen Jahren würde der Gewinn beim Verkauf umwerfend ausfallen.
    Marcus musste sich und die Seinen beschützen.
    Es war sein Recht. Und seine Pflicht.
    Georg Koll hatte die Hand aus dem Jenseits ausgestreckt, zu einem weiteren Versuch, Marcus’ Leben zu ruinieren, und das würde er ihm ganz einfach nicht gestatten.
    »Darf ich?«
    Yngvar Stubø nickte zu einem gelben Sessel vor dem Fernseher hinüber. Erik Lysgaard schien nicht zu reagieren. Er saß einfach da, in einem entsprechenden Sessel von dunklerer Farbe, starrte vor sich hin, die Hände auf den Knien.
    Erst jetzt fielen Yngvar das Strickzeug und die langen, fast unsichtbaren grauen Haare auf, die am Schondeckchen über dem Sesselrücken klebten. Er zog einen Stuhl vom Esstisch weg und setzte sich.
    Er atmete schwer. Ein leichter Kater plagte ihn, seit er um halb sechs aufgestanden war, und er hatte Durst. Der Flug von Gardermoen nach Bergen war alles andere als angenehm gewesen. Das Flugzeug war zwar fast leer gewesen, nicht viele wollten am ersten Weihnachtstag um 07.25 von Oslo nach Bergen reisen, aber es hatte arge Turbulenzen gegeben und er hatte zu wenig geschlafen.
    »Das ist keine Vernehmung«, sagte er, da ihm nichts Besseres einfiel. »Dazu kommen wir später, auf der Wache. Wenn Sie …«
    Wenn Sie sich besser fühlen, hätte er fast gesagt, konnte es aber gerade noch verhindern.
    Das Wohnzimmer war hell und gemütlich, weder modern noch altmodisch. Einige Möbelstücke waren offenbar viel benutzt, wie die beiden Ohrensessel vor dem Fernseher. Das Esszimmer sah ebenfalls aus wie ein Erbstück. Die Sitzgarnitur dagegen, in der Ecke des L-förmigen Wohnzimmers, war cremefarben und tief und hatte bunte Kissen; Yngvar hatte die gleiche in einer Broschüre von Bohus gesehen, die Kristiane unbedingt im Bett hatte lesen wollen. An der einen Längswand waren um die Fenster herum Bücherregale angebracht. Es wimmelte dort nur so von Titeln, die annehmen ließen, dass das Ehepaar Lysgaard breit gefächerte Interessen hatte und viele Sprachen beherrschte. Ein großes Werk mit kyrillischen Buchstaben auf dem Umschlag lag auf dem kleinen Couchtisch zwischen den beiden Sesseln. An der Wand hingen die Gemälde so dicht, dass es schwer war, sich von jedem einen Eindruck zu verschaffen.
    Das Einzige, was sofort seine Aufmerksamkeit erregte, war eine Kopie von Henrik Sørensens »Christus«, einer blonden Messiasgestalt mit ausgebreiteten Armen. Vielleicht war es nicht einmal eine Kopie. Es wirkte echt und konnte einer der vielen Entwürfe sein, die der Künstler für die Kirche von Lillestrøm gemacht hatte.
    Der eindrucksvollste Blickfang aber war eine riesige Weihnachtskrippe auf dem Büfett. Sie war über einen Meter breit und vielleicht einen halben Meter hoch und tief. Sie befand sich in einer Art Kasten mit gläserner Vorderfront, wie ein Tableau. Zwischen Engeln und winzigen Hirten, Schafen und den Weisen aus dem Morgenland lag das Jesuskind auf einer Strohschütte. Hinten in dem ärmlichen Stall leuchtete eine Lampe so geschickt verborgen, dass Jesus einen Heiligenschein zu haben schien.
    »Die ist aus Salzburg«, sagte Erik Lysgaard so unerwartet, dass Yngvar zusammenzuckte.
    Dann verstummte Lysgaard wieder.
    »Ich wollte sie nicht so anstarren«, sagte Yngvar und lächelte vorsichtig. »Aber die ist wirklich einfach … hinreißend.«
    Der Witwer schaute zum ersten Mal auf. »Das sagt Eva Karin auch. Hinreißend, das sagt sie über die Krippe.«
    Er stieß einen kleinen Schnarchlaut aus, als ob er versuche, sich selbst am Schluchzen zu hindern.
    Yngvar schob den Stuhl ein wenig näher. »Viele Menschen«, sage er leise, »viele Menschen werden in den nächsten Tagen behaupten zu wissen, wie Ihnen zumute ist. Aber das tun nur sehr wenige. Auch wenn die meisten in unserem Alter …«
    Yngvar war sicher an die zehn Jahre jünger als Erik

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