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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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solide waren, wie sich das einige Monate zuvor niemand hätte vorstellen können. Die Nation pumpte nun schon so lange Geld aus der Nordsee, dass sie nach dem wirtschaftlichen Erdbeben in den USA fast unverletzlich wirkte. Der Immobilienmarkt in Norwegen, ohnehin schon aufgebläht und überhitzt, lief im Frühherbst zwar heftig vor die Wand. Aber er hatte sich doch wieder erholt. Es gab jedenfalls Lebenszeichen. Konkurseröffnungen hatten sich in den vergangenen Monaten vervielfältigt, aber viele hielten das für einen Prozess des Gesundschrumpfens unter nicht lebensfähigen Unternehmen. In der Baubranche stieg die Arbeitslosigkeit, was natürlich ernst genommen wurde. Aber dieser Zweig der Wirtschaft arbeitete vor allem mit importierter Arbeitskraft. Polen, Balten und Schweden hatten die sympathische Eigenschaft, nach Hause zu fahren, wenn es keine Arbeit mehr für sie gab; jedenfalls die, die nicht erkannt hatten, dass man durch die norwegische Sozialgesetzgebung gutes Geld holen konnte. Außerdem gab es genug Wirtschaftsweise, die auf jeden Fall untereinander meinten, eine Arbeitslosigkeit von etwa vier Prozent sei nur gut für die Flexibilität in der gesamten Arbeitskapazität.
    Überhaupt lief die AS Norwegen weiter, und wenn auch nicht ganz so wie zuvor, so doch ohne katastrophale Folgen für Land und Bevölkerung. Die Leute kauften weiterhin Lebensmittel, sie brauchten noch immer Kleidung für sich und ihre Kinder, sie gönnten sich Wein am Wochenende und gingen nicht weniger häufig ins Kino.
    Nur die Luxuswaren hatten Absatzprobleme.
    Und Kunst wurde als Luxus betrachtet.
    Niclas Winter riss die Metallfolie von der Champagnerflasche, die er sich am Todestag seiner Mutter geleistet hatte. Er versuchte sich zu erinnern, ob er jemals so eine Flasche gekauft hatte. Als er sich mit dem Draht abmühte, war er sicher, dass es das erste Mal war. Er hatte zwar schon ansehnliche Mengen dieses edlen französischen Getränks konsumiert, vor allem in den vergangenen Jahren, aber immer auf Kosten anderer.
    Der Schaum spritzte, und er lachte, während er den sprudelnden, zischenden Wein in das Plastikglas am Rand des überfüllten Arbeitstisches goss. Er stellte die Flasche sicherheitshalber auf den Boden und hob das Glas an den Mund.
    Das knapp dreihundert Quadratmeter große Atelier, ursprünglich eine Lagerhalle, war in natürliches Licht getaucht. Für Außenstehende herrschte hier das pure Chaos, in diesem großen Raum mit Oberlicht und hohen Bogenfenstern in der Südostwand. Aber Niclas Winter hatte alles unter Kontrolle. Hier lagen Schweißgerät und Lötkolben, Computer und alte Toilettenbecken, Kabel aus der Nordsee und ein halbes Autowrack - das Atelier wäre für alle wissbegierigen Elfjährigen ein Paradies gewesen. Kinder wären jedoch nie im Leben eingelassen worden. Der Installationskünstler Niclas Winter hatte drei Phobien: große Vögel, Regenwürmer und Kinder. Es war schwer genug gewesen, die eigene Kindheit zu überstehen, und er wurde nicht gern daran erinnert, wenn er Kinder sah, die spielten und lärmten und glücklich waren. Dass das Atelier nur zweihundert Meter von einer Grundschule entfernt lag, war eine bedauerliche Tatsache, mit der er einigermaßen leben konnte. In jeder anderen Hinsicht waren diese Räumlichkeiten perfekt, die Miete war niedrig, und die meisten Kinder hielten sich fern, seit er ein Schild mit der Aufschrift »Vorsicht vor dem bissigen Hund« und dem Bild eines Dobermanns an die Tür gehängt hatte.
    Das Atelier war ein Rechteck von etwa sechzehn mal achtzehn Metern. Das ganze Chaos konzentrierte sich auf die Wände, dicht an dicht mit Schrott und Sperrmüll drapiert, um eine freie Fläche mitten im Raum. Dort arbeitete Niclas Winter an seinen Installationen. An einer Querwand standen außerdem vier Installationen, die so gut wie vollendet waren, die er aber noch niemandem gezeigt hatte.
    Er nippte am Champagner, der ein wenig zu süß und auch nicht kalt genug war.
    Das hier war das Beste, was er je gemacht hatte.
    Das Werk hieß I was thinking of something blue and maybe grey, darling und war eigentlich von StatoilHydro gekauft.
    Mitten im Kunstwerk ragte ein Monolith aus Schaufensterpuppen auf. Die waren ineinander verflochten wie das Original im Vigelandspark, aber aufgrund der Steifheit der Puppen – außer an Knien, Ellbogen, Hüften und Schultern – wirkte die sechs Meter hohe Figur irgendwie stachlig. Köpfe auf angebrochenen Nacken, steife Finger und Füße mit

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