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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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aufheulten und auf Stöckelabsätzen herumhüpften. Ein älterer Mann kam mit einem übergewichtigen alten Labrador die Straße entlang. Er schimpfte die Bengel in Grund und Boden. Die fluchten und johlten und rannten lachend den Hang hinauf, dann verschwanden sie über einen drei Meter hohen Zaun auf einem abgesperrten Baugelände.
    »Es ist doch eigentlich unglaublich, dass sie kein Geld abgehoben hat«, sagte Tuva atemlos. »Bist du ganz sicher?«
    Synnøve ging langsamer. Sie vergaß oft, dass sie besser in Form war als die meisten anderen. »Ich konnte ja nur unser gemeinsames Konto überprüfen. Marianne hat außerdem ein Sparkonto, zu dem nur sie Zugang hat. Ich muss die verdammte Polizei dazu bringen, bei der Bank nachzufragen.«
    Sie blieb stehen.
    Es hat doch alles keinen Zweck, dachte sie.
    Sie standen an einer Kreuzung. Tuva zeigte nach oben, wo ein menschenleerer Weg sich nach Grefsenkollen hinaufschlängelte.
    »Ich bin einfach so sicher, dass sie tot ist«, flüsterte Synnøve. Die Tränen liefen über ihr Gesicht.
    »Das kannst du nicht wissen«, protestierte Tuva. »Sie ist doch erst seit einer Woche verschwunden! Ich weiß noch, wie verzweifelt du damals warst, als sie einfach nach Frankreich abgehauen ist und sich ewig nicht gemeldet hat. Marianne ist doch so …«
    »Tot!«, schrie Synnøve. »Fang du nicht auch noch an. Damals war alles anders. Damals wollte sie nichts mit mir zu tun haben. So ist das jetzt nicht. Kannst du nicht einfach …«
    Tuva legte den Arm um sie. »Entschuldige. Ich versuche nur, dich aufzumuntern. Vielleicht sollten wir nicht darüber reden.«
    »Natürlich sollen wir darüber reden!«
    Synnøve lief wieder los. Schnell. Bei jedem Schritt steigerte sie ihr Tempo. Tuva lief hinter ihr her.
    »Worüber sollen wir denn sonst reden?«, schrie Synnøve. »Über das Wetter? Ich will über diese verdammte blöde Großtante reden, die nicht einmal Bescheid gesagt hat, als Marianne nicht aufgetaucht ist. Ich will über …«
    »Hast du sie angerufen?«
    Jetzt musste Tuva joggen, um mit Synnøve Schritt zu halten.
    »Ja. Sie wollte um alles in der Welt nicht mit Mariannes Mutter sprechen, und das kann ich ja verstehen. Aber die Frau muss doch …«
    Ein Elch stand mitten auf dem Weg.
    » … schwachsinnig sein«, fauchte sie. »Ich habe gefragt, ob …«
    »Pst!«
    Der Elch war nur an die zwanzig Meter von ihnen entfernt. Die Luft um sein Maul wurde grau, wenn er atmete. Es war eine Elchkuh, wie Synnøve jetzt sah, und sie schaute vorsichtig auf beiden Seiten in den Wald, ob ein Kalb in der Nähe war. Sie konnte keins sehen, aber das musste nicht bedeuten, dass die Kuh allein war. »Bisher ist sie nur hellwach«, flüsterte sie. »Ganz still stehen.«
    Die Elchkuh starrte sie fast eine halbe Minute lang an. Sie hatte den Kopf hoch erhoben und die Ohren nach vorn gelegt.
    Tuva wagte kaum zu atmen. »Ich hab noch nie einen lebenden Elch gesehen«, flüsterte sie.
    Das zeigt nur, wie selten du aus dem Haus kommst, dachte Synnøve, dann brüllte sie plötzlich und fuchtelte mit den Armen. Die Kuh fuhr zusammen, drehte um und verschwand mit großen, graziösen Sprüngen im Wald.
    »Wow«, sagte Tuva.
    »Die Tante muss eine Idiotin sein«, sagte Synnøve und ging weiter den Weg hinauf. »Ich habe gefragt, warum sie sich nicht gemeldet hat, und da sagte sie, mein Nachname sei ihr nicht bekannt.«
    »Das ist eigentlich ein guter Grund«, rief Tuva, die nicht mehr versuchte, mit Synnøve Schritt zu halten. »Warte doch auf mich. Lauf nicht so schnell!«
    Synnøve blieb stehen und drehte sich um. »Erstens«, sagte sie und zog den Fausthandschuh aus, ehe sie einen Finger hob, »hat Marianne ihr geschrieben, dass ich Dokumentarfilme mache. Zweitens hatte sie gesagt, dass ich Synnøve heiße. Und drittens …«
    Drei Finger spreizten sich in der Luft. »Die Frau muss doch verdammt noch mal irgendwo Internetzugang haben. Sie braucht nur Synnøve plus documentary zu googeln, und schon weiß sie, wer ich bin.«
    Tuva nickte, obwohl sie selbst niemals auf diesen Gedanken gekommen wäre.
    Sie gingen schweigend weiter. Hinter ihnen wurde das Feuerwerk immer lauter. Als sie die Abfahrt zum Trollvann passierten, rang Tuva nach Atem und hätte lieber kehrtgemacht, humpelte aber weiter.
    Sie waren am Ziel. Aus dem Restaurant Grefsenkollen fiel warmes Licht. Der Parkplatz war voller Autos, die vermutlich bis weit in den nächsten Tag hinein dort stehen würden. Als Tuva und Synnøve näher kamen,

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