Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
Würde doch nur bedeuten, Öl ins Feuer zu gießen. Inger Johanne arbeitet an einem Projekt  … «
    »Ja, wie geht’s meiner Lieblingsdame?«, fiel Sigmund ihm ins Wort.
    Yngvars Kollege litt seit Jahren an einer offenbar gleichbleibenden Verliebtheit in Inger Johanne. Normalerweise zeigte sich das nur an einer heftigen Begeisterung, wann immer er sie sah oder über sie sprach. Wenn er etwas getrunken hatte, konnte er plumpe Komplimente und unerwünschte Berührungen folgen lassen. Einmal hatte Inger Johanne ihm eine schallende Ohrfeige verpasst, nachdem er, abgefüllt mit dem Cognac der Gastgeber, in ihr Dekolleté gelangt hatte. Aus irgendeinem absurden Grund mochte sie ihn trotzdem.
    »Gut«, sagte Yngvar. »Du musst mal bei uns reinschauen.«
    »Ja! Was ist mit dem Wochenende? Das würde gut passen und …«
    »Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt«, unterbrach ihn Yngvar. »Ich muss los. Bis dann.«
    Als er das Gespräch gerade wegdrücken wollte, hörte er Sigmunds mechanisch verzerrte Stimme rufen: »Warte! Noch nicht auflegen!«
    Yngvar hob das Telefon wieder ans Ohr. »Ja, was ist los?«
    »Wollte nur sagen, dass nicht alle Briefe mit Homokram zu tun haben.«
    »Nicht?«
    »Einige handeln auch von Abtreibung.«
    »Von Abtreibung?«
    »Ja. Du weißt doch, die Bischöfin war in der Hinsicht ziemlich fanatisch.«
    »Aber was schreiben sie denn? Und vor allem, wer schreibt?«
    »So alles Mögliche. Diese Briefe sind jedenfalls nicht ganz so aggressiv. Eher traurig. Einer ist von einer Frau, die wünscht, sie wäre nie geboren worden. Sie ist das Ergebnis einer Vergewaltigung, und ihre Mutter war so jung, sie hat sich nicht getraut, etwas zu sagen, ehe es zu spät war. Für dieses Kind war das Leben aussichtslos, noch ehe es geboren war.«
    »Hm. Ein Mensch beklagt sich bei der Bischöfin, dass er überhaupt am Leben ist?«
    »Jepp.«
    »Aber was will sie denn eigentlich?«
    »Die Bischöfin davon überzeugen, dass Abtreibung richtig sein kann. So was in der Richtung. Weiß nicht so recht. Aber viele von diesen Briefen stammen von total verkorksten Menschen, Yngvar. Ich bin auch der Meinung, dass wir nicht allzu viel Gewicht darauf legen sollten. Aber da wir sonst fast nichts haben, müssen wir sie uns jedenfalls genauer ansehen. Kommst du bald her?«
    Yngvar klemmte das Telefon zwischen Kopf und Schulter. Öffnete die Schublade, schnappte sich den einen Schokoriegel und riss das Papier ab. »Erst nächste Woche, glaube ich. Aber wir reden ja vorher noch miteinander. Mach’s gut.«
    Er legte das Telefon weg und zerbrach die Schokolade in vier Teile. Langsam fing er an zu essen. Jeden Bissen ließ er auf der Zunge zergehen. Er brauchte fünf Minuten, um genussvoll den ganzen Riegel zu erledigen, dann leckte er sich die Finger ab.
    Seine Laune hatte sich gebessert. Sein Blutzuckerpegel stieg und er fühlte sich klar im Kopf. Als ihm nach wenigen Sekunden klar wurde, dass er sich soeben 216 verbotene Kalorien einverleibt hatte, fühlte er sich so niedergeschlagen, dass er den Mantel vom Haken riss und das Licht ausknipste. Es war jetzt Mittwoch, der 7. Januar, und sieben Tage Hungerkost waren genug für diesmal.
    Er würde sich jetzt ein richtiges Essen gönnen.

Zorn
    Gegen Mittag am 9. Januar wurde in einem grauen Haus im Hystadvei in Sandefjord an der Tür geklingelt.
    Synnøve Hessel lag auf dem Sofa. Sie befand sich irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, in einem Dämmerzustand aus düsteren Gedanken. Nachts fand sie keinen Schlaf. Die dunkelsten Stunden des Tages kamen ihr endlos und überflüssig vor. Es war nicht möglich, weiter nach Marianne zu suchen, wenn alle anderen schliefen, aber es war ihr trotzdem versagt, Ruhe zu finden. Die Tage wurden immer schlimmer. Ab und zu nickte sie ein, wie jetzt.
    Ihr blieb nicht viel anderes übrig.
    Das gemeinsame Bankkonto war nicht angerührt worden. Zu Mariannes eigenem Konto hatte Synnøve noch keinen Zugang. Sie hatte sich in allen norwegischen Krankenhäusern erkundigt, aber auch das hatte nichts gebracht. Alle Freunde hatte sie angerufen. Noch die entferntesten Bekannten und Verwandten hatte sie gefragt, ob sie seit dem 19. Dezember von Marianne gehört hätten. Vor zwei Tagen hatte Synnøve sich zusammengerissen und endlich ihre Schwiegereltern angerufen. Sie hatte zuletzt von ihnen gehört, als Marianne ihren Mann verlassen wollte, um zu ihr zu ziehen. Den Anruf hätte sie sich sparen können. Sowie Mariannes Mutter begriffen hatte, wer da anrief,

Weitere Kostenlose Bücher