Gotteszahl
im Blick. Teilweise sehr aktive Gruppen.«
Das »sehr« betonte sie ganz besonders.
»Nicht alle haben etwas gegen Afroamerikaner, nehme ich an?«
»Nicht doch. Wir haben zum Beispiel schwarze separatistische Bewegungen, die uns andere alle loswerden wollen. Auch die Juden haben überall ihre Feinde. Bei uns eben auch.«
Plötzlich sah Karen älter aus. Die Falten um ihre Augen waren keine Lachfältchen, wie Inger Johanne geglaubt hatte. Jetzt, da Karen ernst war, vertieften sie sich noch.
»Das Institute for Historical Review, die Noontide Press … viel zu viele. Ihrerseits haben die Juden die Jewish Defense League, die einwandfrei als Hassorganisation bezeichnet werden muss. Überhaupt: There is hate enough to go around in this world. Wir haben Gruppen gegen Südamerikaner, gegen native Americans, für native Americans, gegen jegliche Einwanderung auf eher allgemeiner und vorurteilsloser Grundlage …«
Ein ironisches Lächeln beendete den Satz. Sie sprach jetzt leiser. Das Ehepaar am Tisch vor der Wand schaute trotzdem vorwurfsvoll zu ihnen herüber und erhob sich zum Gehen. Als sie hinter Inger Johanne vorbeigingen, murmelten sie etwas über ein ruiniertes Essen und darüber, dass es Grenzen geben müsse, sogar für Amerikanerinnen.
»Und dann hast du natürlich alle, die Homosexuelle hassen.«
Jetzt wurde der Nachtisch gebracht.
»Erdbeercarpaccio mit Vanillekruste«, sagte der Kellner und stellte die Teller vor sie hin. »Begleitet von einem kleinen Champagnersorbet. Guten Appetit.«
»Wie groß sind diese Gruppen eigentlich?«, fragte Inger Johanne, als sie wieder allein waren.
Karen bohrte den Löffel zwischen die Erdbeerscheiben. Sie stützte den Ellbogen auf den Tisch und musterte das Gericht, während sie langsam antwortete: »Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Was die rein rassistischen Organisationen angeht, so sind sie größer, als du dir vorstellen magst. Einige sind richtig alt und als paramilitärische Truppen organisiert. Andere wiederum, vor allem die anti-gay groups, sind schwieriger zu …«
Sie schob den Löffel in den Mund, schloss genießerisch die Augen und kaute. »Wie soll ich sagen«, sie zögerte, »zu definieren?«
Inger Johanne nickte. Sie hatte dasselbe Problem, und sie fragte: »Aufgrund der starken Verbindung mit an und für sich legitimen kirchlichen Gemeinschaften?«
»Ja«, sagte Karen. »Unter anderem deshalb. Im Ausgangspunkt definieren wir eine Hassgruppe als eine mehr oder weniger feste Organisation, die auf irgendeine Weise Hass gegen irgendeine Gruppe schürt. Sie wird erst kriminell, wenn sie entweder die Grenzen der Meinungsfreiheit übertritt, die die meisten Länder festgelegt haben, wenn sie zu strafbaren Handlungen auffordert oder sie selbst begeht. Und wenn das individuelle Opfer dieser Kriminalität aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe von Menschen mit spezifischen erkennbaren Kennzeichen ausgesucht wird.«
Sie schnappte nach Luft.
»Das hast du ja wirklich gut gelernt«, sagte Inger Johanne lächelnd.
»Hab es ja auch schon etliche Male aufsagen müssen.«
Sie aß jetzt langsamer. Inger Johanne war absolut satt und schob ihr halb verzehrtes Dessert ein wenig weiter auf den Tisch zurück.
»Um ein Beispiel zu nennen«, sagte Karen. »Das war 2007. Ein junger Mann, Satender Singh, machte Ferien am Natoma-See in Kalifornien. Er kam vom Inselstaat Fidschi und saß eines Tages mit indischen Freunden in einem Restaurant. Eine Gruppe russisch sprechender Menschen glaubte zu erkennen, dass Satender homosexuell war, und um eine lange Geschichte ganz kurz zu machen: Sie haben ihn umgebracht.«
Inger Johanne schwieg.
»Dass Homosexuelle umgebracht werden, eben weil sie homosexuell sind, kommt immer wieder vor«, sagte Karen jetzt. »Das Besondere an diesem Fall war, dass die Mörder einer sehr großen Gruppe von slawischen, streng religiösen Einwanderern in der Gegend angehörten. Ihre Gemeinden sind extrem homophob eingestellt. Wir reden hier von fast hunderttausend Menschen, die sich auf siebzig fundamentalistische Gemeinden verteilen, in einem Gebiet, das bisher stark vom homosexuellen Teil der Bevölkerung geprägt war. Zu sagen, dass die Beziehung zwischen beiden Gruppen jetzt aufgeheizt ist, wäre untertrieben. Die Christen betreiben intensive homophobe Propaganda, sie haben eigene Fernseh- und Radiosender und eine enorme Mobilisierungsfähigkeit. Bei einigen der Protestveranstaltungen, die von homosexuellen
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