Gotteszahl
Rede von einer Gemeinde. Und auch nicht von einer politischen Gruppierung.«
»Und wovon ist dann die Rede?«
»Von einer militanten Gruppe. Einer paramilitärischen Truppe. Wir glauben, die Identitäten von zumindest drei Mitgliedern zu kennen, zwei ultrakonservative Christen und ein Muslim. Alle drei haben militärische Erfahrungen. Einer war sogar Navy Seal. Das Problem ist, dass sie wissen, dass wir wissen, wer sie sind, und dass sie sich ruhig verhalten. Sie unternehmen derzeit gar nichts, sondern verhalten sich ziemlich normal. Leider besteht trotzdem Grund zu der Annahme, dass die Gruppe ziemlich groß ist. Groß und sehr gut organisiert. Das FBI tritt in der Angelegenheit ziemlich auf der Stelle, und wir vom APLC können auch nicht viel machen. Aber wir versuchen es. Wir geben uns alle Mühe.«
»Aber was in aller Welt machen sie?«, fragte Inger Johanne ungeduldig.
»Bringen Schwule und Lesben um«, sagte Karen. »Die › 25er ‹ sind der Klub der Unzufriedenen. Derer, die Taten wollen, keine Worte.«
»In Norwegen begnügen wir uns meistens damit, uns gegenseitig anzupöbeln«, sagte Inger Johanne.
Karen lächelte kurz und blieb vor einem weiteren Kreisverkehr stehen. »So fängt es an«, sagte sie. »Genau so fängt es an.«
Kein Auto war zu sehen, und sie überquerten die Straße.
»Ist die Antihomobewegung in Norwegen vor allem religiös?«, fragte Karen.
»Sowohl als auch. Ich würde sagen, dass das, was sich als Bewegung bezeichnen lässt, von den konservativen Christen geprägt ist. Einzelne versuchen, eine eher moralphilosophische Grundlage für ihre homophobe Argumentation zu konstruieren. Wenn man ihren Argumenten nachgeht, sieht man aber trotzdem, dass sie alle in einem tief verwurzelten Gottesglauben ihren Ausgang nehmen.«
Sie holte tief Luft. »Und dann haben wir den ewigen Ruf aus den Wohnwagen.«
»Aus den Wohnwagen?«
»Ist nur so ein Ausdruck. Ich meine die Tiefe des Volkes. Nicht sonderlich christlich und schon gar nicht sonderlich philosophisch. Mögen eben keine Homos.«
Sie hatten das BI-Gebäude erreicht, und Karen blieb vor einem Schaufenster von G-Sport stehen. Es war offenbar nicht der Winterschlussverkauf, der sie interessierte, denn sie starrte in der Glasscheibe Inger Johannes Spiegelbild an. »Ich dachte immer, ihr seid so progressiv«, sagte sie. »Was Gleichberechtigung angeht. Antirassismus. Homosexuellenrechte.«
Sie beugte sich plötzlich zum Fenster vor und rechnete. »Das sind 1100 Dollar für die Skier. Ich hab genau solche, und die haben 450 gekostet. Langsam verstehe ich, warum die Gehälter hierzulande so hoch sind.«
»Etwas ist passiert, als Homosexuelle angefangen haben, sich Kinder zuzulegen«, sagte Inger Johanne nachdenklich, als sei ihr eine ganz neue Erkenntnis gekommen. Das mit den Kindern hat zu einem heftigen Rückschlag geführt.«
Die Wolkendecke war aufgerissen. Über Grefsenkollen waren jetzt in einem schwarzen Riss drei Sterne zu sehen.
Inger Johanne legte die Hände aneinander und blies in ihre Wollfäustlinge. Dann stopfte sie die Hände in die Taschen. »Immer mehr Lesben bekommen Kinder«, sagte sie dann. »Zum Jahreswechsel ist ein geschlechtsneutrales Ehegesetz in Kraft getreten, das ihnen den gleichen Anspruch auf künstliche Befruchtung sichert wie den Heteros. In den letzten Jahren haben sich auch die Schwulen angeschlossen, sie fahren in die USA und suchen Eispenderinnen und Leihmütter. Das alles hat dazu geführt, dass …«
Sie gingen jetzt schneller.
»Weißt du, wie diese Kinder genannt werden?«, fragte sie heftig. »Halbfabrikate. Konstruierte Kinder!«
Karen zuckte mit den Schultern. »Die Geschichte wiederholt sich«, sagte sie müde. »Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Als die ersten Ehen zwischen Schwarz und Weiß geschlossen wurden, verstieß auch das gegen Gottes Willen und war wider die Natur. Auch diese Kinder bekamen abfällige Bezeichnungen. Half-castes. Das hat doch Ähnlichkeit mit Halbfabrikat. Aber auch das geht vorbei, Inger Johanne. In einigen Tagen wird bei uns ein › half-caste ‹ als Präsident eingesetzt. Vor sechs Jahren hätte niemand, absolut niemand, für möglich gehalten, dass wir zuerst eine Präsidentin bekommen würden und dann einen Afroamerikaner. Das mit Helen Bentley war übrigens schade. Dass sie nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren wollte. Ich kann über Obama ja nur Gutes sagen, aber im tiefsten Herzen …«
Es war jetzt halb zwölf. Ein Bus kam ihnen
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