Gotteszahl
immer draußen blieben. Kaja hatte an der Türschwelle gezögert, hatte sich dann aber ins Haus und aufs Sofa locken lassen. Dort hatten sie zusammen getrauert, Synnøve und der Hund, bis Kjetil Berggren wie vereinbart um drei Uhr gekommen war, um sie abzuholen.
Jetzt saß sie im selben Raum wie beim letzten Mal. Ein Polizist aus Oslo war da gewesen, aber sie wollte mit niemandem außer Kjetil reden.
»Ich verstehe ja, dass es furchtbar viel für dich ist, Synnøve, und ich …«
»Kjetil«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich meine es wirklich ernst. Wenn du wüsstest, wie mir in der ganzen Zeit seit Mariannes Verschwinden zumute war, dann …«
Sie verstummte und schloss die Augen.
»Bringen wir es einfach hinter uns. Okay?«
»Hast du die Wunden in deinem Gesicht behandeln lassen?«, fragte er.
»Die sind nur ganz oberflächlich.«
Kjetil Berggren schien widersprechen zu wollen. Aber dann nickte er zu dem Stoffstück hinüber, das auf dem Tisch lag.
»Kann ich ihn nehmen?«, fragte sie.
»Nein. Leider nicht.«
Der Trauring aus Weißgold war etwas größer als ihr eigener. Der eingelassene Diamant war matt und wäre kaum zu sehen gewesen, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er dort war. Marianne hatte sich Diamanten gewünscht. Synnøve war für einen ganz schlichten Goldring gewesen, sie wollte mit Marianne verheiratet sein, weiter nichts, und der Ring sollte aus Gold und schlicht sein.
»Wir haben es nie geschafft, zu heiraten«, sagte sie.
»Ich dachte, ihr wärt …«
»Wir waren registrierte Partnerinnen. Als ob wir zusammen ein Geschäft geführt hätten. Aber jetzt, mit dem neuen Gesetz, wollten wir im Sommer richtig heiraten.« Die Tränen brannten in den Kratzern in ihrem Gesicht.
»Der Ring sieht jedenfalls aus wie ihrer.«
Sie streckte die rechte Hand aus, um den anderen Ring zu zeigen. Dann holte sie Luft und redete übertrieben schnell weiter: »Die Halskette ebenfalls. Der Schlüsselbund ist einwandfrei ihrer. Diesen Speicherstick hab ich noch nie gesehen, aber bei uns liegen sicher dreißig von der Sorte rum. Kannst du das jetzt wegnehmen? Kannst du das wegnehmen! «
Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Ich gehe davon aus«, sagte sie erstickt, »dass ich die Sachen identifizieren soll, weil ihr nicht wollt, dass ich Marianne sehe.«
Kjetil Berggren gab keine Antwort. Rasch, ohne die vier Gegenstände zu berühren, verstaute er jeden in einer Plastiktüte und legte vorsichtig das Tuch um alle zusammen.
»Wir lassen natürlich noch eine DNA-Analyse durchführen«, sagte er. »Aber leider sind wir ziemlich sicher, dass es sich bei der Toten um Marianne handelt.«
»Sie haben gesagt, sie hätte bezahlt«, sagte Synnøve und ließ endlich die Hände sinken. »Das Hotel sagt, dass Marianne für das Zimmer bezahlt hatte.«
»Ja, es war bezahlt. Aber nicht von ihr.«
»Von wem denn sonst? Wenn jemand anders das getan hat, dann muss es doch der Mörder gewesen sein, und dann muss es doch leicht sein, den zu … Haben die keine Videoüberwachung? Gästeliste? Es muss doch das Einfachste auf der Welt …«
Als sie Kjetils Gesicht sah, verstummte sie.
»Das Hotel Continental hat an einigen Punkten im Haus Videoüberwachung«, sagte er langsam. »Unter anderem in der Rezeption. Aber leider werden die Aufnahmen nach einer Woche gelöscht. In der kommenden Woche wechseln sie zu digitalen Aufnahmegeräten, dann wird alles viel länger aufbewahrt. Aber bisher haben sie altmodische Geräte benutzt. VHS, ganz einfach. Können Kassetten nicht in alle Ewigkeit aufbewahren, weißt du.«
»VHS«, flüsterte sie ungläubig. »In einem Luxushotel?«
Er nickte. »Die Rechnung wurde schon am Abend des 19. bezahlt. Das geht aus dem Kassenbericht hervor. Der Concierge meint, dass ein Mann für das Zimmer bezahlt hat. Eine genauere Beschreibung fällt ihm schwer. An jenem Abend war sehr viel los, es war doch mitten in der Zeit der Weihnachtsfeiern. Das Theatercafé war überfüllt, und von dort kann man direkt weiter zu Dagligstuen gehen, wo ebenfalls serviert wird. Auf dem Weg kommt man an der Rezeption vorbei.«
»Bedeutet das, dass …«
Synnøve wusste selbst nicht, was das bedeuten sollte.
»Außerdem wurde an diesem Abend dort eine Hochzeit gefeiert«, sagte der Polizist jetzt. »Viel Lärm und Gedränge. Es hat wohl auch einen ziemlich dramatischen Zwischenfall mit einem Kind gegeben, das aus dem Hotel weggelaufen war und fast vom Bus überfahren wurde. Nein, ich glaube, es war die
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