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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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in Gang zu setzen, war es Benn nicht genug: Das Leben als historisch-psychologisches Phänomen zu begreifen lehnte er entschieden ab. Der Mensch – so sah es Benn – stand nicht am Rand der Gesellschaft, sondern er stand gefährlich nah am Rand der Natur. Kein Wunder, dass Benns Favoriten des Heftes zwei Bilder waren: der gezeichnete Walt Whitman von Ludwig Meidner sowie eine Radierung Jakob Steinhardts mit dem Titel
Der Prophet
. 7
    Else Lasker-Schüler, die in dem Heft mit dem Gedicht
An den Herzog von Vineta
vertreten war, hat Benn nicht erwähnt. Überhaupt spricht einiges dafür, dass sie König Giselheer, den »Barbar« und »ungläubigen Ritter«, 8 erst jetzt kennenlernte – im Frühjahr 1913. Mit Sicherheit begann in diesen Tagen eine Affäre zwischen den ungleichen Lyrikern, die die Phantasie der Leser ihrer Gedichte noch heute zu fesseln weiß – angeheizt vom Pathos der Dichterin, die in Benn die Kraft des Vorzivilisatorischen feierte.
    »Ich hab mich doch wirklich wieder verliebt«, schrieb sie Franz Marc, »er hatte gestern Geburtstag.« 9 Die Lasker-Schüler sprudelte geradezu vor Aktivität: Sie zeichnete ihn und schrieb einen Essay über den Pathologen, dessen Verse für sie Leopardenbisse waren. Der hielt unmittelbar darauf drohend-liebend dagegen:
     
    Aber wisse:
    Ich lebe Tiertage. …
    Ich treibe Tierliebe.
    In der ersten Nacht ist alles entschieden.
    Man faßt mit den Zähnen, wonach man sich sehnt. 10
     
     
    Wie immer bei literarischen Dialogen lässt sich nicht genau sagen, wer wem antwortet, wer worauf reagiert; so auch nicht bei diesem Gedicht mit dem Titel
Drohung
. »Am Gedrucktwerden an sich liegt mir augenblicklich weniger als je«, schrieb Benn Paul Zech, als er ihm das Gedicht für sein
Neues Pathos
anbot. LeiseZweifel seien geäußert, wissen wir doch, dass dieses Gedicht aus Benns zweitem, im Oktober erscheinenden Lyrikband
Söhne
im Juni gleich zweimal gedruckt wurde.
    Im Juli schickte Benn Kurt Wolff, der seit einem Vierteljahr den Leipziger Ernst Rowohlt Verlag unter seinem eigenen Namen führte, sein fertiges
Söhne-
Manuskript zu, doch er bekam »es mit 3 kühlen Zeilen, daß jedes Interesse für meine Person ihm fernläge, zurück«. 11 Kurt Pinthus, zusammen mit Franz Werfel Lektor bei Wolff, entschuldigte sich dafür bei Else Lasker-Schüler, die so weit gegangen war, ihr eigenes literarisches Schicksal bei ihrem Verleger mit dem des »Herculesdichters« 12 Benn zu verbinden:
     
Die Gedichte des Dr. Benn habe ich mit leidenschaftlicher Anteilnahme gelesen und sie Herrn Wolff so sehr empfohlen, dass es fast zu einem Zwist gekommen wäre, da Herr Wolff nicht wagte die Gedichte Benns anzunehmen. Mir war es sehr schmerzlich als ich hörte, dass das Manuskript an Dr. Benn zurückgesandt worden ist. Bitte sagen Sie das dem Dr. Benn und grüssen Sie ihn aufs Herzlichste von mir. 13
     
    Dann stellte sie den Kontakt zu dem Verleger Heinrich Bachmair her, den sie selbst gerade verlassen hatte und dem Benn für dessen in München erscheinende Zweimonatsschrift
Die Neue Kunst
den Gedichtzyklus
Finish
zur Verfügung stellte.
    Man sah die beiden – sie mit buntfarbenen um den jungenhaften Leib gewickelten Schärpen und auffallend großen Ohrringen – bei Dichterlesungen gemeinsam in verräucherten Hinterzimmern sitzen, etwa im Vortragssaal Austria in der Potsdamer Straße 28, aber bereits die im August im
Neuen Pathos
gedruckten
Drei Gesänge an Giselheer
waren Abgesänge, denn Benns Liebe »ist schon verloschen in seinem Herzen, wie ein bengalisches Feuer, ein brennendes Rad – es fuhr mal eben über mich«. 14
     
    Liebe dich so!
    Du mich auch?
    Sag es doch – – – 15
     
     
    Bei der Verlagssuche hatte sie also nichts ausrichten können –
Söhne
erschien wie Benns Debüt
Morgue
bei A. R. Meyer, an dessen Stammtisch in einer Kutscherkneipe am Bayerischen Platz Benn bei Mollen, Eisbein, Kümmel und Korn weiterhin die Dichterkollegen traf. Am 2. September 1913 schrieb er an Paul Zech:
     
Gegen den Verlag läßt sich ja nichts sagen. Wo soll man auch hin? Und schließlich: Kunst ist eine Sache von 50 Leuten, davon noch 30 nicht normal sind. Was große Verlage verlegen, ist keine Kunst, sondern Arbeit von Leuten, die ihrer Mittelmäßigkeit schriftstellerisch gerecht werden. Nietzsche hat zeit seines Lebens seine Rechnungen nicht bezahlen können, van Gogh lebte von 28 Tassen Kaffe den Tag u. Heinrich Mann ist arm, soviel ich weiß. Kunst ist Irrsinn und gefährdet die

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