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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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Rasse. Was Allgemeingut wird, ist damit gerichtet. 16
     
    Die Spitze gegen den großen Kurt Wolff Verlag saß. Zwei Tage später gab Benn seine Gedichte bei Meyer ab: »Hier ist der Schund. Taugt nichts. Gibt eine Pleite.« 17 Der traurigen Freundin ließ er einen Gruß über die Titelblatt-Zeichnung Ludwig Meidners drucken: »Ich grüße Else Lasker-Schüler: Ziellose Hand aus Spiel und Blut«. 18 Was er ihr, der Zeichnerin, mit der Widmung sagen wollte, meinte vordergründig, dass er sich schlicht mit Meidners »zielloser Hand«-Zeichnung nicht anfreunden konnte: »Meidners Bild ist mir unklar. Was macht die Hand oben in den Wolken?« 19 Aber vor allem war es ein Abschiedsgruß, der ihr klarmachen sollte, dass ihre Ziellosigkeit mit seiner Zielstrebigkeit nicht zusammengehen konnte, zitiert doch die Widmung ihre in
Mein Herz
gestellte Frage: »Was er wohl von meiner ziellosen Hand aus Blut und Spiel denkt?« 20
    Es gibt keine direkten Zeugnisse, die über eine Trennung von Else Lasker-Schüler berichten könnten. Am ehesten gibt noch der am 1. November 1913 in der
Aktion
veröffentlichte »Brief« an Franz Marc Aufschluss:
     
Seit ich Giselheer verlor, kann ich nicht mehr weinen und nicht mehr lachen. Er hat ein Loch in mein Herz gebohrt. … Den Doktor Benn rief ich, der meinte, das Loch in meinem Herzen könnte man mit einem einzigen Faden zunähen. … Ich vertraute ihm die Geschichte meiner Liebe an, zeigte ihm Giselheers Briefe und sagte ihm alles. Ich habe Vertrauen zum Doktor Benn; was er sagt, ist gesagt. Er behauptet, ich habe meine Welt in G. hineingelegt, denn der habe keine Ahnung von mir. … Hätte ich nur meine Geschenke wieder, … »Er« schenkte mir eine Enttäuschung. … Ich habe dem Doktor Benn ehrenwörtlich versprochen, nicht mehr an den armen König zu denken, der noch nicht einmal ein Herz besitzt zum Verschwenden. 21
     
    Aber vielleicht ist die Vorstellung einer Trennung der beiden, gar während eines Sommerurlaubs am Meeresstrand einer Ostseeinsel, weil
er
sich in
eine andere
verliebt hat, allzu sehr von konventionellen Erwartungen durchdrungen; so wie ihr Verhältnis war, bedurfte es wohl gar keiner Trennung.
    Am 1. Juli 1914 tauchte Giselheer in den im
Brenner
unter dem Titel
Der Malik
erscheinenden Briefen an Franz Marc noch einmal auf. Er halte sich versteckt in der Stadt. Es ist gut möglich, dass Benn sich im Sommer zu einer Stippvisite in Berlin aufhielt. Nach seiner Rückkehr aus New York fuhr er von Hamburg nach Frankfurt am Main, machte Urlaub an der Bergstraße, hielt sich in München auf, um von dort nach Bischofsgrün »durch Süddeutschland dem Norden« 22 zuzufahren. Ende Juli kehrte er nach München zurück, heiratete Hals über Kopf die Schauspielerin Edith Brosin und zog in den Krieg. Als Else Lasker-Schüler einen von Edith, der Dresdnerin, mit unterschriebenenAbschiedsbrief erhielt, war sie einigermaßen schockiert:
     
Verblüffend und ernüchternd wirkte auf den romantischen Jussuf die grüßende Unterschrift Edithas vom Sachsenlande. »Wohl anzunehmen, die Braut des Nibelungen.« 23
     
    Nachdem Benn aus dem Krieg nach Berlin zurückgekehrt war und er ihr sein Leid geklagt hatte, schrieb sie ihm aus Zürich: »Ich glaub wir sehen uns niemehr wieder, aber ich denke immer an Dich … Wie gerne kämpfte ich bis in den Tod für Dich.« 24 Gelegentlich trafen sie sich dann doch noch: in Cafés, einmal beriet er sie in Geldfragen, als sie im März 1922, zu Beginn der Hyperinflation, 3000 Dollar erhielt und er empfahl, das Geld »wegen der Zinsen« 25 auf der Bank liegen zu lassen. 26
    Nur wenige Jahre später, am 18. Dezember 1927, wurde ihr Sohn Paul auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Als der blumenbestreute Sarg, von Rabbinern geleitet, bis zur geöffneten Gruft getragen wurde, ging die Mutter, von zwei Damen unter den Armen gestützt, mit rhythmischem Schritt auf den schneebedeckten Wegen dicht hinter dem über alles geliebten Sohn her. Später, unter Gebeten und Gesängen, sah Benn, der neben ihr am Grab stand, den ganzen Schmerz und die Qualen in ihrem Gesicht geschrieben, die der Jahre währende Kampf gegen Pauls Lungenkrankheit verursacht hatte, diese tückische Krankheit, an der ein Jahr später sein Freund Klabund und zwei weitere Jahre darauf sein Adoptivsohn Andreas sterben würden.
    Die Bewunderung der beiden Dichter füreinander blieb ungebrochen. Er nannte sie in Briefen »verehrungsvoller Präsident« oder »großes lyrisches

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