Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)
Freundin an seiner Seite wurde. In der Schülerin Otto Modersohns, die später eng mit den Dadaisten verbunden und eine Freundin Hannah Höchs war, sah er die griechische Kurtisane Mnais, die Heinrich Manns Symbol der Schönheit und Liebe in dessen gleichnamiger Erzählung war: »Sie sollen sein wie / Mnais, den windgen / Morgen auf ihren / spiegelnden Hüften, / hoch und allein.« 21
»Also, zeitweise habe ich mich sogar gut mit Benn amüsiert. Nie außerhalb, immer in diesem kleinen Zimmerchen … Benn hatte eine merkwürdige Art den Frauen, d. h. mir zu schmeicheln. Er verwöhnte damals Frauen wahrscheinlich nie, sie sollten ihn verwöhnen, kam aber für mich nicht in Frage. Ich glaubte immer seinen Komplimenten noch sehr viel weniger als anderen. Sie waren dazu da, ihn zu amüsieren, aber das glaubte ich nicht. Dann war es nur die Frage, wer war der Stärkere von uns zweien.« 22
Spätestens im März 1921 war der Kampf entschieden. Seinem »bleibe so u. mein Arm wird dich halten« 23 widersetzte sie sich energisch und leistete Verzicht. Benn verabschiedete sich von ihr nicht ohne zynischen Unterton:
Fahren Sie fort, ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden – jedem das Seine u. Gott mit uns und niemand wird wissen, warum Sie geschaffen wurden u. die unerforschliche Schöpferkraft Ihre Gestalt zusammenfügte u. das ist gut. Hochachtungsvoll 24
Aber zurück in das Jahr von Benns Heimkehr. Mitte Dezember reiste Carl Sternheim zu einem Autorenabend des Verlags der Zeitschrift
Marsyas
nach Berlin, deren Herausgeber der Österreicher Theodor Tagger war. Von der Stadt zeigte sich Sternheim zutiefst enttäuscht. Einziger Lichtblick war sein Plan, zusammen mit den Brüsseler Freunden Benn und Carl Einstein sowie seinem Gastgeber Tagger ein enzyklopädisches Werk »zum Abbruch bürgerlicher Ideologie« zu verfassen. 25
Wie eng die Freundschaft mit Carl Einstein wirklich war, lässt sich nur schwer sagen. Glaubt man Einsteins Aussage aus dem Jahr 1923, war sie im Geiste enger als in der Realität. Einstein, kunst- und linksradikal, war ein erklärter Bewunderer Benns:
Alle halbe Jahr – wenn ich mal Benn sehe – streift man schüchtern seine alten Arbeiten. Er kuriert Tripper und ich mache Kunst – was ungefähr noch dümmer ist. Nachdem wir festgestellt haben, daß es mal wieder sehr sympathisch gewesen ist, gehen wir nach Hause. … Ich habe noch nie zwei solche Käuze gesehen; ohne jedes Ausnutzen von Ruf oder Beziehung. Eigentlich habe ich große Achtung vor uns beiden und jeder vor dem andern; während wir das meiste Drumrum gar nicht schätzen … 26
Benn führte in den ersten Jahren nach seiner Rückkehr ein (Doppel-)Leben zwischen der zeitraubenden bürgerlichen Existenz als Krankenhausarzt mit Privatpraxis, Ehemann und Familienvater und der antibourgeoisen Existenz des sonntags dichtenden literarischen Außenseiters. Wenn er an die Jahre 1918–23 dachte, was hatte er sich »erniedrigt u. gepeitscht um Kunst zu machen«:
Die Sonntage mit Hunger u. Kaffeetrinken bis zum Taumeln, die Nächte vielfach verbummelt, um noch müder, depressiver, mürber zu sein. Und wozu? Das ist die Frage! Um isoliert, abersonderlich dazustehn, wenn das Alter beginnt, immer in Gefahr, aus der Insel der bürgerlichen Existenz, auf die man sich rettete, ausgestoßen zu werden. Ein Rätsel, das Ganze. 27
Im folgenden Februar erschien bei Pfempfert die Novelle
Diesterweg
, doch die Geschichte von Benns Rückkehr aus Brüssel wurde so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen. Einziges Echo war eine Kurzkritik Martin Sommerfelds im
Literarischen Echo
, die der Novelle ein »bravouröses Tempo«, »Humor« und »eine Wirkung« bescheinigte, »die der echter Kunst nahe kommt«. 28 Die letzte eigenständige Publikation Benns im Verlag Franz Pfemferts sollte im Juni 1919 der Dramenband
Der Vermessungsdirigent
sein, als
Die Aktion
bereits den Untertitel »Wochenschrift für revolutionären Sozialismus« bekommen hatte und zeitweise Parteiorgan der neu gegründeten KPD geworden war. »Nie wieder hat es in Deutschland eine Zeitschrift gegeben vergleichbar der ›Aktion‹ – oh jene Jahre 1912–1918, jene unvergesslichen Jahre«, 29 schwärmte der alte Benn in einem Brief an den frühen Weggenossen Karl Otten.
Benn war seinem Förderer Pfemfert, den er noch am Weihnachtsfest des Jahres 1928 zusammen mit Thea Sternheim besuchte, zu großem Dank verpflichtet. 30 Als der Spartakist Franz
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